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Neujahrsinterview mit Nicolas Zimmer

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  • Rubrik Interview
  • Veröffentlichungsdatum 12.01.2023
Laura Schubert

Hinter uns liegt ein durch und durch bewegtes Jahr: die immer neuen Herausforderungen einer sich wandelnden Pandemie-Situation, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine oder die Wiederholungswahlen in Berlin. Verändert sich die Arbeit der Technologiestiftung unter Eindruck dieser Ereignisse?  

Nicolas Zimmer: Wie alle stehen auch wir unter dem Eindruck der Ereignisse auf der Welt und hier in Berlin. Während wir uns in den ersten Wochen des zurückliegenden Jahres noch mit Fragen der Pandemiebekämpfung und ihren Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft auseinandersetzen und hofften, bald zur „Normalität“ zurückkehren zu können, begann im Februar der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Der Krieg in Europa und das damit verbundene Leid der Menschen in der Ukraine macht nicht nur mich als Menschen betroffen – es verändert auch unser Zusammenleben in Berlin: Viele tausende Geflüchtete mussten von einem Tag auf den anderen untergebracht, versorgt und betreut werden. Einmal mehr zeigt sich, dass viele Berliner:innen in solchen Situationen zusammenstehen, anpacken und Lösungen finden. Das stimmt mich hoffnungsvoll, auch über diese Zeit und Herausforderung hinaus.  

Viele der aktuellen Entwicklungen betreffen aber auch unsere Projektpartner:innen und Zielgruppen direkt: Sei es die Verwaltung, die parallel zur digitalen Transformation nun mit der Koordination der Geflüchteten und der Organisation der Wiederholungswahlen vor großen Aufgaben steht. Oder die Kulturschaffenden, die von den Auflagen der Pandemie in besonderer Weise betroffen waren. Weiter gilt: Mit agilen Methoden, lernenden Prozessen und klugen digitalen Ansätzen können wir digitale Souveränität fördern und viele der neuen wie alten Herausforderungen bewältigen. Dies menschengerecht, nachhaltig, smart und gemeinsam mit Stadtgesellschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft zu koordinieren, ist und bleibt unsere Aufgabe als Technologiestiftung.  

Dabei ist uns auch Teilhabe als Säule der Demokratie wichtig. Die Visualisierung der Berliner Haushaltsdaten, ein gemeinsames Projekt von ODIS und der Senatsverwaltung für Finanzen, ist ein schönes Beispiel für den Resonanzboden, den unsere Arbeit im letzten Jahr geschaffen hat. Hier konnten wir auf einen akuten Bedarf – das gestiegene Interesse an finanzieller Transparenz durch erhöhte Haushaltsausgaben – mit einem niedrigschwelligen, intuitiven und interaktiven Tool reagieren. Natürlich Open Source- und Open Data-basiert. Es wird nach wie vor rege genutzt und weiterentwickelt.  

Die andauernde Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklungen macht aber auch deutlich: Eine gewisse Unbeständigkeit wird uns als „New Normal“ begleiten. Doch da, wo die Veränderung Alltag wird, manche Debatte kurzlebiger und dynamischer und sich die großen gesellschaftlichen Herausforderungen – Klima, Digitalisierung – umso drängender zeigen, wird es zur wichtigsten Aufgabe, alle Bürger:innen in diesem Prozess mitzunehmen. Der Dialog mit der Stadtgesellschaft hat für uns 2023 auch deshalb höchste Priorität. In den kommenden Monaten werden wir wieder viele neue Formate umsetzen, die uns miteinander ins Gespräch bringen. 

Mit der Verstetigung des Projektes kulturBdigital als dauerhafte Kooperation bis zunächst Ende 2026 und der Verabschiedung der Strategie Gemeinsam Digital: Berlin unter Mitarbeit des CityLABs wurden mit der Technologiestiftung zwei für die Smart City Berlin ganz zentrale Meilensteine gesetzt. Wie sind diese zu bewerten? 

Nicolas Zimmer: Die Verstetigung von kulturBdigital bis 2026 und die Verabschiedung der neuen Smart City- und Digitalstrategie sind nicht nur wichtige Meilensteine für Berlin, sondern profilieren unsere Stadt mit einzigartigen Projekten über die Stadtgrenzen hinaus.  

Die Gemeinsam Digital-Strategie fußt auf einem innovativen Entwicklungs- und Beteiligungsprozess, den das CityLAB Berlin im Auftrag der Senatskanzlei über die letzten zwei Jahre koordiniert hat. Etwa 2.000 Menschen sind dem Aufruf, an der Formulierung der Strategie mitzuwirken, nachgekommen. Mich freut vor allem, dass wir sogenannte „stille Gruppen“ der Gesellschaft, z.B. Geflüchtete, Kinder oder Menschen mit Barrieren, aktiv einbinden konnten – sie kamen in anderen Stadtentwicklungsprozessen häufig zu kurz. Auch in weiteren Punkten sind wir gegenüber anderen Stadtentwicklungsprozessen neue Wege gegangen: Unsere Strategie „lernt“. Einmal im Jahr werden Erfahrungen der Beteiligten gesammelt und die Strategie gegebenenfalls angepasst. Wir als Technologiestiftung beteiligen uns mit den Projekten Smart Water und Kiezbox 2.0. Und freuen uns darauf, die Strategie in diesem Jahr nicht nur zum Leben zu erwecken, sondern sie im Rahmen der praktischen Umsetzung auch stetig weiterzuentwickeln.  

Die Verstetigung von kulturBdigital, unserem gemeinsamen Projekt mit der Senatsverwaltung für Kultur und Europa ist eine wichtige Grundlage, um Digitalisierungsprozesse in der Kulturszene nachhaltig voranzutreiben. Die Berliner Kulturszene ist einzigartig, sie prägt unsere Stadt wie sonst nirgendwo. Ich wünsche mir, dass sich dieses Potenzial noch besser entfalten kann. Egal, ob es um die Nutzung neuer Technologien und offener Daten, digitale Arbeitsmethoden oder Barrierefreiheit geht: Bei unseren Veranstaltungen hören wir immer wieder, wie viel Bewegung in der Kulturszene steckt. Mit dem Programm der Resilienz-Dispatcher:innen, die in Berliner Kulturinstitutionen die Digitalisierung voranbringen, hat die Senatsverwaltung für Kultur und Europa dafür eine weitere wichtige Grundlage geschaffen. Wir freuen uns darauf, auch hier mitzuwirken und Dispatcher:innen miteinander zu vernetzen. Neben dem Organisationswandel wollen wir mit dem Projekt kulturdaten.berlin​​ aber ebenso die Sichtbarkeit und Auffindbarkeit des Berliner Kulturangebotes steigern​​. 

Nicht nur die immer sichtbareren Folgen der Klimakrise, auch die aktuelle Energieknappheit und die  Protestbewegungen lassen Klimathemen wieder ganz nach oben auf die Agenda rutschen. Welche Potenziale hält die Digitalisierung hier bereit?  

Nicolas Zimmer: Wir müssen zuallererst darüber sprechen, dass die Digitalisierung nicht nur Potenziale für die Lösung der Klimakrise bereithält – sie ist auch Teil des Problems. Rechenzentren, Clouddienste, digitale Endgeräte: Bei den weltweiten Treibhausgas-Emissionen hat allein die Informationstechnik schon jetzt einen Anteil von mindestens vier Prozent – und wird dabei wohl eher unterschätzt. Hier wünsche ich mir von vielen Anbietern unbedingt mehr Transparenz zum eigenen CO2-Fußabdruck.  

Gleichzeitig können digitale Technologien dazu beitragen, die Folgen der Klimaveränderung zu mindern. Beim Projekt QTrees wollen wir mit einem KI-gestützten Modell Vorhersagen für die effiziente Bewässerung von Bäumen formulieren. So wirken wir einer konkreten Herausforderung der Klimakrise, dem Baumsterben in Städten, entgegen und befähigen gleichzeitig die Mitarbeitenden von Natur- und Grünflächenämtern aktiv dazu, an der Lösung mitzuwirken. Auch die klimagerechte Stadtplanung ist ein Thema, das uns beschäftigt. Um die agile und datenbasierte Planung von Regenwasserbewirtschaftung in Zeiten von Dürreperioden und Gewässerbelastungen geht es in dem Projekt Smart Water - das wir übrigens in unserem neu gewachsenen Bereich Digital Services umsetzen. 

Auch die Stadtgesellschaft lassen wir mittels Open Data die Lebensdauer von Stadtbäumen verlängern. Bei unserem Open-Source-Projekt Gieß den Kiez können Bürger:innen über eine interaktive Anwendung, die über 800.000 Stadtbäume führt, Bäume markieren, adoptieren und gießen. Gesellschaftliche Selbstwirksamkeit und Partizipation ist aus unserer Sicht nämlich ein ganz wichtiger Schlüssel zur Bekämpfung der Klimakrise.  

So wie wir alle längst jeden Tag die Folgen der Klimakrise erleben, wünsche ich mir, dass die Zivilgesellschaft verstärkt dazu befähigt wird, Teil von erlebbaren Lösungen zu sein. Der Zugang zu den relevanten Daten und das Partizpieren an digitalen Lösungen sind wichtige Bausteine, um die Auswirkungen der Klimakrise abzumildern. Wir freuen uns, zu dieser Mammutaufgabe einen kleinen Beitrag leisten zu können.