“Jede Verwaltungsrevolution muss erstmal im Kleinen beginnen”
Zu teuer, zu langwierig, zu kompliziert – die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung hat einen schlechten Ruf. So vielfältig die Gründe für das Scheitern vieler öffentlicher IT-Projekte sind, so klar ist auch, dass es in vielen Verwaltungen bislang kaum etablierte Prozesse zur digitalen Produktentwicklung gibt. Mit einer Förderung der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe hat das CityLAB deshalb den Leitfaden für agiles Arbeiten entwickelt. Er soll Verwaltungsmitarbeitende praktisch dabei unterstützen, digitale Verwaltungsangebote zu entwickeln. Victoria Boeck hat an der Erstellung des Leitfadens mitgewirkt und erklärt, wie Agilität und Verwaltung zusammengehen.
Zuallerst: Agilität – das ist ein echter Trendbegriff. Was genau bedeutet agiles Arbeiten im Kontext der Verwaltung?
Victoria Boeck: „Agil“ als Begriff stammt ursprünglich aus der Welt der Software-Entwicklung, ist aber in vielen anderen Kontexten anwendbar. Agile Entwicklungsprozesse priorisieren die Generierung von zeigbaren Ergebnisse über die ausführliche Vorplanung eines Vorhabens. So können Annahmen möglichst früh im Prozess getestet werden – und eventuell notwendige Änderungen oder Anpassungen zum Plan schnell und unkompliziert umgesetzt werden. Ein weiterer wichtiger Teil von agilen Prozessen ist der Aufbau von Teams, die Entwickler:innen und Vertreter:innen der Kund:innenperspektiven stets in den Austausch miteinander bringen.
Für die Verwaltung hat agiles Arbeiten vor allem im Kontext der Entwicklung neuer digitaler Lösungen an Bedeutung gewonnen. Die Entwicklung von Digitalprodukten erfolgt nun iterativ in neuen Prozessen und Strukturen, statt den kompletten Projektablauf und das gewünschte Endprodukt schon am Anfang des Prozesses festzulegen. Beim agilen Arbeiten geht es aber auch um ein neues Selbstverständnis der Verwaltung: Bei der Entwicklung neuer digitaler Lösungen sieht sie sich nicht nur als Auftraggeberin ohne aktive Rolle im Entwicklungsprozess, sondern als die Verantwortliche für die zu entwickelnde Lösung, die im ganzen Prozess – von der Sammlung erster Anforderungen und Bedürfnisse bis zur tatsächlichen Entwicklung des Produkts – aktiv beteiligt ist.
Ihr arbeitet u.a. im Rahmen des Projekts „Bürgeramt der Zukunft“ eng mit der Verwaltung zusammen. Welche Herausforderungen beobachtet ihr, wenn es darum geht, agile Arbeitsmethoden in der Verwaltung zu etablieren?
Victoria Boeck: Agile Methoden stellen eine große Änderung für das klassische Projektmanagement in der Verwaltung dar. Typischerweise werden Projekte Monate oder Jahre im Voraus geplant, und als Teil dieses Prozesses wird das gewünschte Endprodukt umfangreich beschrieben, bevor überhaupt mit der tatsächlichen Entwicklung begonnen wird. Zudem ist es gängig in der Verwaltung, dass insbesondere bei komplexen Projekten Entscheidungen eher in einem großen Kreis mit mehreren Stakeholder:innen getroffen werden.
Viele der bekannten Verwaltungsstrukturen und -prozesse werden durch agile Methoden auf den Kopf gestellt. So sollen Projektteams möglichst schnell in die Entwicklung kommen und müssen mit der Unsicherheit „leben”, das Endprodukt erst im Rahmen von Tests und daraus gewonnen Erfahrungen ausführlich beschreiben zu können. Der Kreis der Entscheidungsträger:innen sollte zudem möglichst klein gehalten werden, damit Entscheidungen relativ schnell und unkompliziert getroffen werden können. Auf dieser Grundlage finde ich es sehr nachvollziehbar, dass es vielen Mitarbeitende in der Verwaltung schwer fällt, einen Anfangspunkt beim agilen Arbeiten zu finden.
Viele der bekannten Verwaltungsstrukturen und -prozesse werden durch agile Methoden auf den Kopf gestellt. Ich finde sehr nachvollziehbar, dass es viele Mitarbeitende in der Verwaltung schwierig finden, einen Anfangspunkt beim agilen Arbeiten zu finden.
Angenommen ein kleines Verwaltungsteam möchte morgen mit einem konkreten Projekt loslegen: Welche Elemente Eures Handbuchs lassen sich relativ schnell und unkompliziert umsetzen?
Victoria Boeck: Relativ leicht umsetzen lassen sich neue Formate für den Austausch im Projektteam. Hier geht es im Kern darum, neue Routinen zu schaffen, statt den kompletten Projektmanagementansatz zu ändern. Dazu gehört beispielsweise die Einführung von täglichen, kurzen Check-Ins innerhalb des Kernteams zum Projektstand sowie die Organisation von Retrospektiven nach dem Abschluss einer wichtigen Projektphase – so kann das Team darüber reflektieren, was in der letzten Phase gut gelaufen ist und was in Zukunft vielleicht anders gemacht werden sollte. Auch beim Umgang mit einem Dienstleistenden kann man neue Formate für den Austausch einführen, damit alle auf dem aktuellsten Stand bleiben und einer negativen Entwicklung ggf. schnell entgegengesteuert werden kann.
Mal ganz allgemein: Was haben Bürger:innen überhaupt von einer agil arbeitenden Verwaltung?
Victoria Boeck: Im besten Fall führt eine agil arbeitende Verwaltung zu besser funktionierenden, nutzer:innenfreundlicheren Verwaltungsdienstleistungen für Bürger:innen. Die Idee hinter agilen Methoden ist, dass sie zu besseren Endprodukten führen, weil im ganzen Entwicklungsprozess die Bedürfnisse der Zielgruppe stets zentral sind. Basierend auf meinen Erfahrungen im CityLAB Berlin kann ich das bestätigen. Ich bin überzeugt davon, dass agile Methoden die Usability und schlussendlich auch die Qualität von Anwendungen und Dienstleistungen erhöhen. Von dem Leitfaden erhoffe ich mir, dass Verwaltungsmitarbeiter:innen beim Lesen direkt Lust bekommen, mit agilen Methoden im Alltag zu experimentieren. Denn jede Verwaltungsrevolution muss erstmal im Kleinen beginnen.
Die digitale Transformation beginnt im Kopf! Der Leitfaden agiles Arbeiten steht Verwaltungsmitarbeitenden und Interessierten unter folgendem Link zur interaktiven Ansicht bereit: agile-verwaltung.citylab-berlin.org. Das PDF kann hier direkt heruntergeladen werden.