Der intelligente Kiez
Vernetzung in der Nachbarschaft für ein nachhaltiges Stadtmanagement. Die Diskussuin beim 109. Treffpunkt WissensWerte fasst Thomas Prinzler in einem Blogbeitrag zusammen.
Mobilität, Energie, Ressourcen und Lebensqualität: Diesen Herausforderungen müssen sich Städte heute und noch mehr in der Zukunft stellen, heißt es in der aktuellen Studie der Technologiestiftung Berlin “Das intelligente Quartier“. Was heißt das konkret? Und wie „intelligent“ kann ein Kiez sein?
Ein Kiez, so steht es bei Wikipedia, bezeichnet „vor allem in Berlin einen überschaubaren Wohnbereich in ‚inselartiger’ Lage und einem identitätsstiftenden Zugehörigkeitsgefühl in der Bevölkerung.“ Und in Meyers Konversationslexikon von 1905 gibt es noch einen ganz anderen Zungenschlag: Weil die Kietzer den deutschen Städtern „an Bildung, Wohlstand und Rechten…nachstehen, so erhielt der Name Kietz einen spöttischen Beigeschmack und noch heute werden dürftige und entlegene Vorstadtgegenden Kietz genannt.“ 115 Jahre später sind Kieze jedoch wirklich identitätsstiftende, bei den Einwohner*innen wegen der kurzen Wege beliebte Wohnquartiere. Und zukünftig soll der Kiez auch noch „intelligent“ sein – wie eigentlich?
„Indem zum Beispiel an Straßenbeleuchtungsmasten Verkehrsinformationen abgerufen werden können durch die Bewohner oder Füllstandsinformationen für die BSR, wenn Mülltonnen schon gefüllt oder überfüllt sind“, meint Dr. Beate Mekiffer, Innovationsmanagerin bei der WISTA Berlin. Denkbar wäre auch, dass die Kiezbewohner*innen mitgeteilt bekommen, ob und wo Ladeinfrastruktur für E-Autos gerade frei ist. Und natürlich wird die Helligkeit der Leuchten automatisch situationsbedingt gesteuert.
Als Test gibt es in Adlershof bereits intelligente Straßenlaternen – doch nur bei den 160 Laternen im Eigentum der WISTA. Um städtische Leuchten mit der Technik auszustatten, fehlten in Berlin die gesetzlichen Grundlagen und wohl auch der Wille, glaubt Dr. Mekiffer.
„Um etwas intelligent zu machen, muss es vorher ja nicht dumm gewesen sein, es wird eine Qualität verbessert“, gibt Anne-Caroline Erbstößer von der Technologiestiftung Berlin zu bedenken. Sie ist Autorin der aktuellen Studie „Das intelligente Quartier“. Und dazu müssen zunächst sehr viele Daten erhoben, erfasst und ausgewertet werden – über Gebäude, Energie, Mobilität, das Verhalten der Bewohner*innen im Kiez oder der Mitarbeiter*innen in Arbeitsquartieren wie zum Beispiel im Technologiepark Adlershof – natürlich anonym und datenschutzkonform.
Für den Technologiepark Adlershof liegen viele dieser Daten vor, die durch umfangreiche Befragungen zu Energieverbräuchen, Anwesensheitszeiten der Mitarbeiter*innen und deren Mobilität erhoben wurden. Klar ist, bei dem prognostizierten Wachstum des Standortes sind die Klima- und Mobilitätsziele des Senats nur zu erreichen, wenn Projekte für deutliche Energieeinsparungen und eine Verkehrssteuerung entwickelt werden.
Allerdings gibt es auch aktuelle Veränderungen aufgrund der Coronakrise, ergänzt Anne-Caroline Erbstößer. „Jetzt ist die Hälfte der Menschen im Homeoffice. Auf einmal verändern sich Energieverbräuche, verlagern sich aus den Büroräumen weg in die Privaträume. Und auch da haben wir eigentlich keine Daten.“ Für die Verkehrsentwicklung gilt Ähnliches – Anlass eigentlich für eine weitere Studie der Technologiestiftung Berlin.
Ortswechsel von Adlershof im Südosten nach Nordwesten, in den Kiez zwischen Spree, Westhafenkanal und Charlottenburger Verbindungskanal – bekannt als Mierendorff-Insel. In der Selbstdarstellung will sie „In der Stadt der Gegenwart die INSEL der Zukunft sein!“
Prof. Christoph Nytsch-Geusen vom Institut für Architektur und Städtebau an der Universität der Künste Berlin begleitet das Projekt wissenschaftlich. 600 Gebäude umfasse der Kiez, das Ziel sei, ihn emmissionsfrei zu machen.
„Das ist erst mal die Agenda und nicht ein Jahresprojekt sondern ein Zehn-Jahres-Projekt“, sagt Nytsch-Geusen und er lobt die konstruktive Unterstützung des Charlottenburger Bezirksamtes. Gemeinsam mit der TU Berlin hat er eine Studie für das Bezirksamt erstellt u.a. über die Gebäudeenergiedaten. Es gibt sehr viele Stellschrauben und Möglichkeiten für die Steigerung der Energieeffizienz. Aber, schränkt Nytsch-Geusen ein, „wenn es dann … um die Umsetzung von Maßnahmen geht, sind es weniger technologische Schwierigkeiten, sondern eher rechtliche Randbedingungen.“ Auch sei es in einem Haus mit vielen Eigentumswohnungen schwieriger einen Konsens für Maßnahmen in der Eigentümer*innenversammlung herzustellen als im Gespräch mit der Fachabteilung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Da müssen momentan viele Verhandlungen geführt werden, damit dort etwas passiert.
Für ihn als Forscher sei es aber „ganz spannend zu verstehen, wie so ein 600 Gebäude-Quartier strukturell tickt, wie die Eigentumsverhältnisse verteilt sind und wie die Energieverbräuche auf verschiedene Gebäudetypen verteilt sind“. Zustimmung auch von Dr. Mekiffer, die sich in Adlershof auch vor ähnliche Herausforderungen gestellt sieht. Ein Großteil der Flächen und Gebäude seien in privater Hand bzw. verpachtet, nur ein kleiner Teil sei im Besitz und Verwaltung der WISTA, antwortet sie auf die Frage von Ulrich Misgeld vom Unternehmensnetzwerk Motzener Straße, ob denn ein intelligentes Quartier sich nicht selber energetisch steuern könne. „Man kann über so ein Quartier keine Komplettsteuerung legen. Was man machen kann, ist die Struktur dafür zu schaffen, dass ein Datenaustausch zwischen all den Nutzer*innengruppen funktioniert.“ Dann müssten die verschiedenen Nutzer*innen und Firmen eigenverantwortlich handeln.
Anders sei das aber bei ‚Fubic’, dem neuen Zukunftsprojekt der WISTA im Berliner Südwesten in Dahlem. Dort entsteht ein Technologie- und Gründerzentrum auf dem Areal eines ehemaligen Militärkrankenhauses. Man wolle da, erklärt Dr. Mekiffer, eine CO2-neutrale und emissionsfreie Versorgung realisieren, die auf 100% Erneuerbarer Energie basiert. Das sei nicht einfach, betont sie, sowohl was die rechtlichen als auch die technologischen Herausforderungen betreffen. Man müsse innerhalb des Quartiers Energie hin- und herschieben können, man muss die Bedarfe kennen, wo, wann, wieviel Energie genutzt werden soll. „Wir sind in diesem Irrgarten drin und wir schlagen uns da jetzt durch“, ist Mekiffer zuversichtlich, das Fubic-Quartier zu realisieren.
Für eine ganze Stadt jedoch wird es eine zentrale Steuerung nicht geben, ist Anne-Caroline Erbstößer überzeugt. „Es wird keine zentrale Leitwarte geben, wo ein Bürgermeister sitzt und an den Turntables irgendwie die Stadt regelt.“ Darüber waren sich alle einig.
Ein Quartier, egal ob Kiez, Block oder Bürostandort, sei bestens geeignet, um Dinge zu regeln, zu steuern und miteinander auszutauschen. Und deswegen ist Erbstößer davon überzeugt, dass es zunehmend mehr intelligente Quartiere geben wird. „Es machen sich sehr viele Leute auf den Weg und machen sich Gedanken, wie sie sich miteinander intelligent vernetzen und was sie damit für Vorteile auch in ihrer Nachbarschaft erleben können.“ Aber sie fordert, dass alles nutzer*innenzentriert und auch händelbar sein müsse.
Dr. Mekiffer betont, dass zu den Grundbedarfen einer Stadt wie Energie, Daten, Verkehr auch das Wohlfühlen im Kiez eine wichtige Rolle spiele. Und in Bezug auf Mobilität hat sie die Vision, dass sie von jetzt auf gleich beschließen kann, einen Ausflug zu machen. „Ich bestelle mir ein autonomes Fahrzeug und ich kann das auch modulweise ordern, je nachdem mit wie vielen Personen ich durch die Gegend fahren möchte.“ Und sollte das (natürlich) elektrisch betriebene Auto für die geplante Strecke nicht ausreichend geladen sein, dann könne ein anderes E-Auto seinen Strom teilen, wenn es gerade keinen benötigt.
Diese Sharing-Modelle werden zukünftig eine große Rolle spielen, betont Christoph Nytsch-Geusen. Aber bis dahin sei es noch ein weiter Weg – vor allem auch, was die gesetzlichen Grundlagen beträfe. Er verweist darauf, dass neben der ganzen Infrastruktur wie Energie und Daten insbesondere Transparenz und Kommunikation für den intelligenten Kiez der Zukunft sehr wichtig sind. „Und so glaube ich, dass positiv gesehen eigentlich die anonyme Stadt menschenfreundlicher werden könnte mithilfe von solchen IT-Technologien“.
Durchaus ein schönes Ziel für den intelligenten Kiez der Zukunft.
Auf dem Podium waren:
Anne-Caroline Erbstößer, wiss. Mitarbeiterin, Technologiestiftung Berlin
Dr. Beate Mekiffer , Teamleiterin Innovationsprojekte, WISTA GmbH
Prof. Dr.-Ing. Christoph Nytsch-Geusen, Institut für Architektur und Städtebau, Universität der Künste Berlin
Moderation: Thomas Prinzler, Wissenschaftsredakteur Inforadio (rbb)
Weiterführende Links
Sendung als Podcast (Mp3, 34MB, direkt Download)
Projekt „Mierendorff Insel“
Innovationszentrum Fubic
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