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  • Thema Neue Technologien

Treffpunkt WissensWerte: Der Klimawandel vor unserer Haustür

  • Veröffentlichungsdatum 09.12.2021
Annette Kleffel

Wüsten breiten sich aus. Gletscher und Permafrostböden tauen auf. Unwetter häufen sich. Solche Entwicklungen lassen den menschengemachten Klimawandel wie eine entfernte Bedrohung wirken. Dabei sind die konkreten Folgen längst auch in Deutschland und somit im urbanen Berlin und im ländlichen Brandenburg zu spüren. Insbesondere unsere Wasserversorgung und unsere Gesundheit werden in Mitleidenschaft gezogen. Anlässlich der Klimakonferenz der Vereinten Nationen COP 26 im schottischen Glasgow wurde beim 116. Treffpunkt WissensWerte über Maßnahmen diskutiert, um regional auf die klimatischen Veränderungen reagieren zu können. Aus Sicht der Forscher*innen müssen diese Ansätze schnell zur Anwendung gebracht werden.

Der Mittelmeerraum oder der Mittlere Osten – diese Gebiete haben schon Jahrzehnte mit Wasserknappheit zu kämpfen und waren die Hauptstandorte von Prof. Dr. Irina Engelhardts Forschung. Sie ist Professorin für Hydrologie am Institut für Angewandte Geowissenschaften an der Technischen Universität Berlin. Dass nun auch Deutschland mit so hoher Geschwindigkeit mit dem Wasserstress konfrontiert ist, überrascht die Hydrologin. „Natürlich hätte man das ahnen können, wenn man die klimatischen Werte gesehen hätte. Aber dass es so massiv sichtbar ist wie jetzt mit den Trockenjahren 2018 und 2019, hatten wir so nicht erwartet“, sagt Engelhardt. Brandenburg habe eine niedrige Grundwasserneubildungsrate und lande damit im bundesweiten Vergleich auf dem vorletzten Platz. Nur in Sachsen-Anhalt sei die Lage noch angespannter. „Das heißt, wenn sich jetzt klimabedingt die Grundwasserneubildungsrate ändert, ändert sich letztendlich auch die Erneuerung der uns zur Verfügung stehenden Grundwasserressource,“ erklärt die Hydrologin. Ein wesentlicher Faktor sei die Verdunstung. Durch sie entfliehe das Wasser, bevor es überhaupt in den Grundwasserkörper gelangen könne. Zwar ließen sich hydrologische, extreme Ereignisse auch abpuffern, dafür wären aber Investitionen und politischer Wille nötig. Insbesondere die unterschiedlichen Bundes- und Landesgesetze und die verschiedenen Prioritäten der Bundesländer würde die Umsetzung von Maßnahmen und die Verteilung der Ressource erschweren. In einem Forschungsprojekt solle nun herausgearbeitet werden, wie eine Priorisierung umgesetzt werden kann. Ziel sei es, die Behörden in die Lage zu setzen, die Wasserverteilung entsprechend zu steuern.

Hitzewellen wirken sich auf Sterberaten aus

Auch der Klimatologe Prof. Dr. Dieter Scherer sieht Handlungsbedarf im Hier und Jetzt. „Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Klimawandel ein Thema der Zukunft ist.“ Spätestens seit den 80er-Jahren sei der Klimawandel in Deutschland spürbar. Der Professor ist der Leiter des Fachgebiets Klimatologie an der Technischen Universität Berlin und nimmt in seiner Forschung auch die urbanen Räume in den Blick. Er sieht in den Städten zwei Effekte, die sich überlagern. Durch die Zunahme der Bautätigkeiten werde es einen Verlust an Grünflächen geben. „Das heißt, die Stadtstrukturen ändern sich. Die Stadt wird generell verdichtet. Und das hat natürlich dann Veränderungen für das Stadtklima in vielfältiger Weise zur Folge“, so Scherer. Demnach herrschen in der Stadt schon jetzt höhere Temperaturen als im direkten Umland. Im Jahresmittel unterscheiden sich die Temperaturen außerhalb und innerhalb der Stadt um 1 bis 1,5 Grad Celsius. Der Effekt der städtischen Wärmeinsel werde zusätzlich vom Klimawandel überlagert. „Das führt natürlich dazu, dass die Anzahl der besonders heißen Episoden in der Tendenz und auch in den Intensitäten zunimmt“, erläutert der Klimatologe. Die Hitze beeinträchtige unsere Gesundheit. Das fange bei Konzentrationsproblemen an, schlage sich in der Entstehung von Krankheiten nieder und führe letztlich zu einer höheren Sterberate. Aus den Mortalitätsdaten geht hervor, dass mehrere hundert Todesfälle in Berlin schon jetzt mit der Hitze in Verbindung gebracht werden können.

Umdenken ja, Maßnahmen nein?

Die Annahme, der Klimawandel würde Deutschland nicht so hart treffen, ist Dr. Frank Kreienkamp in der Vergangenheit häufig begegnet. Inzwischen passiere das nicht mehr. Er ist in der Abteilung Klima und Umweltberatung beim Deutschen Wetterdienst tätig und leitet das regionale Klimabüro in Potsdam. Kreienkamp steht in einem intensiven Austausch mit den Umweltämtern und der Berliner Senatsverwaltung. In Bezug auf den Klimawandel bemerkt er ein höheres Interesse: „Mittlerweile gibt es eigentlich keine Branche oder keinen Bereich mehr, der das nicht mitbekommen hat, also von den Förstern und Stadtplanern.“. Selbst bei der Planung von Autobahnen werde der Klimawandel inzwischen mitgedacht. Der Hydrologin Engelhardt fehlt hingegen das Bemühen in Deutschland, ein modernes Wassermanagement zu etablieren. „Es gibt sehr moderne Konzepte, mit denen ich eine unter Wasserstress befindliche Wasserressource managen kann. Das machen wir in Deutschland nicht“, so Engelhardt. Die Forscherin zieht Beispiele aus Israel heran. Hier werde bereits im großen Stil Meerwasser entsalzen. Als Pendant zum Meer nennt Engelhardt den tiefen Grundwasserleiter in Brandenburg. Das unterste Stockwerk des oberen Grundwasserbereichs sei hoch salinar. Das Wasser sei als Trinkwasser unbrauchbar. Allerdings könnte es durch Umkehrosmose aufbereitet werden. Um diesen Schritt zu gehen, hält Prof. Irina Engelhardt den Wasserstress bei uns noch für zu gering. Außerdem werden in Israel 80 Prozent des Abwassers recycelt.

Der Weg vom Abwasser zum Trinkwasser

In Singapur werde das Abwasser sogar so weit recycelt, dass es wieder in der Trinkflasche lande, erklärt die Hydrologin. Hier werde die modernste Form des Abwasserrecyclings betrieben. In Deutschland sei das bisher ein No-Go. Es gebe aber auch die Möglichkeit, Abwasser für die Bewässerung zu recyceln. Das geschehe in Deutschland ausschließlich in Wolfsburg und Braunschweig. Die Kläranlagen seien jedoch kurz davor ihre Konzessionen dafür zu verlieren. Ein weiterer Weg sei die künstliche Grundwasseranreicherung, um es zu einem späteren Zeitpunkt zu entnehmen. Im Grunde sei genau das auf den Berliner Rieselfeldern in der Vergangenheit geschehen. In Deutschland werde aufgrund vor Ängsten, dass zu viele Schadstoffe eingetragen werden, inzwischen aber darauf verzichtet. „Da ist unheimlich viel Spielraum, was wir machen könnten. Aber man bekommt das eben in Deutschland derzeit nicht genehmigt,“ kritisiert die Forscherin den aktuellen Handlungsspielraum. Auch Dieter Scherer hält die künstliche Grundwasseranreicherung für erstrebenswert, um dem sinkenden Grundwasserspiegel entgegen zu wirken. Es brauche nicht mehr viel und das gereinigte Wasser kann aus seiner Sicht direkt in den zweitobersten Grundwasserleiter eingeleitet werden. „Das wäre eine riesige Verbesserung“, so der Klimatologe. Für besonders problematisch hält er es, dass durch die gestiegene Wahrscheinlichkeit von Starkregenereignissen, nicht kontaminiertes Wasser über die Mischkanalisation abfließt. „Die Ziele werden immer in die Zukunft geschoben,“ kritisiert Scherer. In dem Zusammenhang verweist der Forscher der TU Berlin darauf, dass ein Ende der Entwaldung erst für das Jahr 2030 in Aussicht gestellt wurde. „2030 - das ist in zehn Jahren. Das könnte man nächstes Jahr stoppen und es wird nicht gemacht. Das ist ein tragisches Versagen speziell der Entscheidungsträger.“

Defizite bei den Vorhersagemöglichkeiten

Das Instrumentarium, mit dem sich effektiver auf den Klimawandel reagieren ließe, scheint oft noch nicht ausgereift zu sein. So bemängelt der Klimatologe, dass gerade für Investor:innen oft die belastbaren Daten fehlen würden. Investierende Personen oder Organisationen könnten die Kostenseite oft gut kalkulieren. Das sei mit dem zu erwartenden Nutzen von Maßnahmen kaum möglich. „Was bringt es zum Beispiel wirklich an Nutzen, wenn man mehr Stadtbäume hat? Diese Wirkungsquantifizierung findet bis heute nicht statt“, so Scherer. Hier müssten verlässliche Wirkungsbeurteilungen ermöglicht werden. Auch mit Blick auf die Vorhersagemöglichkeiten von Witterung stoße die Forschung an ihre Grenzen. So sei beispielsweise die sogenannte hydrologische Dürre noch nicht richtig quantifizierbar, sagt Irina Engelhardt. Diese Art der Dürre unterscheide sich zum Beispiel von der meteorologischen Dürre und sei für die Wasserressourcen besonders ausschlaggebend. Entsprechend fehle auch ein Frühwarnsystem für die Landwirtschaft. In der Entwicklung langfristiger Witterungsvorhersagen sieht Frank Kreienkamp einen aktuellen Forschungsschwerpunkt. Bei der „Seasonal Prediction“ sei nicht die Genauigkeit entscheidend, „sondern die richtige Erfassung der Tendenzen. Das wäre für viele Fragen, nicht nur für die wasserwirtschaftlichen, eine gigantische Hilfe.“ Kreienkamp erklärt, dass es für eine Vorhersage der nächsten Monate einer enormen Rechenleistung bedürfe. Bisher würde es wahrscheinlich Wochen dauern und sich auf extrem große Gebiete beziehen, wenn diese Modelle errechnet würden. Zudem müssten längerfristige Vorhersagen auch die Tiefenströmung der Ozeane miteinbeziehen. Die ozeanische Variabilität kenne man bisher nicht.

Was muss geschehen?

Alle drei, Prof. Dr. Irina Engelhardt, Prof. Dr. Dieter Scherer und Dr. Frank Kreienkamp, sehen die Notwendigkeit, auf den Klimawandel zu reagieren. Für Prof. Dr. Engelhardt müsste auch Wasser als endliche und wertvolle Ressource betrachtet werden, wie es in den Diskussionen um Energien schon der Fall sei. „Dass wir eben das Wasser entsprechend schützen und auch sehen, dass es Regionen auf der Erde gibt, in denen das Wasser gegebenenfalls alle sein wird, bevor das Öl alle ist.“  Prof. Dr. Scherer verlangt, dass insbesondere große Unternehmen in den Blick genommen werden. „Ungefähr 20 Firmen weltweit verantworten etwa 50 Prozent aller Treibhausgasemissionen,“ so der Klimatologe. „Sie können weltweit die Anlagen identifizieren, die einen überproportional gigantischen Anteil der Treibhausgasemissionen verursachen. Diese zu stoppen ist etwas, was man schnell kann.“ Diesen Schritt politisch, sozial und ökonomisch abzufedern hält er für problematisch aber machbar. Dr. Kreienkamp fragt sich mit Blick auf die Klimamodelle, was für eine Welt seine Kinder erleben werden. „Wenn wir den Klimawandel deutlich verringern, dass sie dann vielleicht noch eine Welt wiedererkennen, die sie jetzt in ihrer Kindheit erlebt haben, das wäre sehr schön.“

 

Das Gespräch führte Axel Dorloff, Wissenschaftsredaktion (rbb) mit:

Prof. Dr. Irina Engelhardt, Leiterin des Fachgebiets Hydrogeologie am Institut für Angewandte die Geowissenschaften an der Technischen Universität Berlin.

Dr. Frank Kreienkamp, Abteilung Klima und Umweltberatung beim Deutschen Wetterdienst, Leiter des regionalen Klimabüros in Potsdam

Prof. Dr. Dieter Scherer, Leiter des Fachgebiets Klimatologie an der Technischen Universität Berlin

Der Treffpunkt WissensWerte ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Technologiestiftung Berlin und Inforadio (rbb).
Die Sendung ist in der ARD Audiothek nachzuhören.

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