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Forum Wissenswerte: Baustoffe der Zukunft. Die Zukunft des Bauens

  • Rubrik Aus der Stiftung
  • Veröffentlichungsdatum 02.07.2024
Michael Scherer

Die Baubranche ist der größte Umweltverschmutzer der Welt, verantwortlich für 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes und für 60 Prozent des globalen Mülls. Der Anteil der verbauten Materialen, der wiederverwendet wird, liegt im einstelligen Prozentbereich. In Zeiten des Klimawandels unhaltbar. Die Branche müsse deswegen ihren Fokus ändern und eine ganzheitliche Bauwende einleiten, fordern Expertinnen und Experten.

Ein Bericht von Jessica Wiener

Ohne Bauwende kann es keine Klimawende geben, diese Einschätzung teilen Annabelle von Reutern vom Verband für Bauen im Bestand und der Projektentwicklung TOMAS, Dr. Dipl.-Ing. Wolfram Schmidt von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und Prof. Dipl.-Ing. Christiane Sauer von der Weißensee Kunsthochschule Berlin.

Bauen, Nutzen, Abreißen – nach diesem Prinzip laufe die Baubranche derzeit. Dieses Mindset des „neu ist immer besser“ könne man sich angesichts des Klimawandels und schwindender Ressourcen aber nicht mehr leisten, sagt Annabelle von Reutern. Ihr Weg: eine nachhaltige Nutzung des Bestands. Die Prinzipien des Urban Minings und des zirkulären Bauens setzen hier an. Bei ersterem geht es darum, bereits verbaute Materialen und Rohstoffe aus abzureißenden Gebäuden herauszuholen und wiederzuverwenden. Für zweiteres muss sich vor allem im Planungsprozess etwas verändern. Materialien und Baustoffe müssten von vornherein so eingesetzt und verbaut werden, dass sie später wieder ausbaufähig und wiederverwendbar sind. Das erfordert, dass die Baustoffe anders verarbeitet und verbunden werden. Alles, was „verklebt oder verbacken“ sei, sei nicht mehr zu nutzen. „Das ist Sondermüll“, so von Reutern.

Wolfram Schmidt von der BAM stimmt zu. Das Problem sei, dass Baustoffe in den vergangenen 100 Jahren immer auf Effizienz optimiert worden seien. „Wir haben Baustoffe entwickelt – Kompositwerkstoffe – die ultimative Biegsamkeit oder ähnliches haben, aber null recyclebar sind und insofern nicht mehr wiederverwertbar sind“. Das ließe sich ändern, indem unter anderem die Erwartungen an die Leistungsfähigkeit des Materials herabgesetzt würden. Das würde sich im Bauen beispielsweise so auswirken, dass Gebäude weniger hoch und weniger ausschweifend gebaut werden würden. Mit dem gesetzten Ziel „Alles, was verbaut wird, auch wieder (zu verwenden)“. Ausnahmen gebe es aber: Für Tragstrukturen beispielsweise sei eine hohe Leistungsfähigkeit des Materials unabdingbar. Material wie Beton.

Andere Herangehensweise / anderer Blick auf das Material

Beton gilt als Klimakiller. Das liege aber vor allem an der „schieren Masse“, die verbaut werde, sagt Schmidt. Beton sei ungefähr 50 Prozent von allem, was die Menschheit je hergestellt habe. Die Rohstoffe, die es zur Betonherstellung braucht, seien überall auf der Welt verfügbar. Eine adäquate Alternative gebe es nicht. Aber: „Wir haben die Möglichkeit, diesen Beton besser zu machen“. Genau daran arbeitet der Diplom-Ingenieur an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Mit dem Ziel, die fossilen Rohstoffe zur Betonherstellung mit erneuerbaren oder rezyklierbaren Rohstoffen zu ersetzen. „Die Denkweise wie wir mit dem Baustoff arbeiten, müssen wir grundlegend verändern“, sagt Schmidt.

Eine andere Denkweise bringt auch Christiane Sauer von der Kunsthochschule Weißensee mit. Der Professorin für Material-Entwurf im räumlichen Kontext geht es unter anderem um die Art und Weise, wie Material gefügt wird. So könnte beispielsweise Metall als Draht auf textile Art und Weise gebunden und gefügt werden. „Wenn ich es verwebe, bekomme ich ein sehr zugfestes Material. Wenn ich es verstricke (…) bekomme ich ein elastisches Material“. Später können die auf diese textile Konstruktionsart miteinander verbundenen Materialen wieder gelöst werden. Ganz im Sinne des Wiederverwendens und -verwertens. Als Beispiel dafür nennt Sauer eine „gestrickte Wand“ aus sogenanntem „Architectural Yarn“. Für diesen „Garn“ wurden Naturfasern zu dicken Strängen gebunden und mit einer speziellen Maschine umflochten, dann wurde gestrickt. Die textile Wand könne dann mit beispielsweise Lehm stabilisiert werden. Auflösen ließe sich das Ganze wieder genau wie bei einem Pullover, so Sauer.

Es gibt nicht den einen Weg

Einig sind sich die Referent:innen in Folgendem: Es gibt nicht den einen Lösungsweg hin zu einer Bauwende. Es gibt nicht die eine perfekte Lösung. Stattdessen müssen viele kleine Schritte gegangen werden und mehrere Wege eingeschlagen und kombiniert werden. Allerdings müssen auch erhebliche Hinderungsgründe überwunden werden.

Annabelle von Reutern führt als wesentliche Punkte an: Das Mindset „neu sei immer besser“ und die Angst vor dem Unbekannten. Den Menschen sei noch nicht klar, wie die Bauwende funktionieren könne, ob Nachhaltigkeit wirtschaftlich sein könne. Das sei ein großer Knackpunkt.

Wolfram Schmidt führt Normierungen und Regelwerke an. Die seien antiquiert und festgefahren. Außerdem kämen immer mehr hinzu. Hier müsste „runtergeschraubt werden“, so dass nur die wichtigen Elemente reguliert werden. Schmidt spricht von Effizienz und nennt als Beispiel die „10 goldenen Regeln für einen nachhaltigen Städtebau“, die er zusammen mit einer Arbeitsgruppe erarbeitet hat. Darin ist unter anderem festgelegt, was institutionell und an Materialtechnik da sein muss, um eine Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Das besondere an diesen Regeln: Sie bieten einen Rahmen, der überall auf der Welt angewendet und angepasst werden kann: nach den regionalen und kulturellen Begebenheiten.

Christiane Sauer ist sich sicher: „mit dem erhobenen Zeigefinger“ schaffen wir eine Bauwende nicht. Die Menschen müssen mitgenommen werden. Das sei nur möglich, wenn Elemente, Bilder und Funktionen entwickelt würden, die auch „Spaß machen zu benutzen“. Es müsse mehr zu der Idee von Suffizienz zurück. „Was ist das good enough“? Architektur und Gestaltung könnten hier neue Horizonte eröffnen.

Fazit

Für ein Gelingen einer grundlegenden Bauwende sei am Ende vor allem eines wichtig, sagt Annabelle von Reutern: Barrieren und Vorurteile abbauen. Das könne gelingen, mit einer besseren Kommunikation unter allen Akteur:innen im Baugewerbe – und zwar interdisziplinär. Ziel sei „maßvoller bauen, regionaler bauen und das zu nutzen, was der Planet uns gibt“, sagt Wolfram Schmidt von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.

Das Gespräch führte Jessica Wiener, Wissenschaftsredakteurin beim rbb24 Inforadio.

Referent:innen:

  • Annabelle von Reutern
    • Vorständin im Verband für Bauen im Bestand
      Projektgründerin von TOMAS - Transformation of Material and Space
  • Prof. Dipl.-Ing. Christiane Sauer
    • Professorin für Material-Entwurf im räumlichen Kontext an der Weißensee Kunsthochschule Berlin
  • Dr. Dipl.-Ing. Wolfram Schmidt
    • Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung
      Fachbereich Baustofftechnologie

Das Forum Wissenswerte ist eine gemeinsame Veranstaltung der Technologiestiftung Berlin und rbb24 Inforadio. Die Sendung finden Sie zum Nachhören im rbb24 Inforadio und in der ARD Audiothek.