Wie sieht das Bürgeramt der Zukunft aus?
Innerhalb von zwei Wochen bekommen Bürger:innen einen Termin im Bürgeramt. Die Besucher:innen checken sich am Eingang ein und werden von den Mitarbeiter:innen aufgerufen. Die Atmosphäre im Bürgeramt ist ruhig und entspannt. Die Dienstleistung wird reibungslos erledigt und alle verlassen das Bürgeramt mit einem Lächeln. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Das Projekt Bürgeramt der Zukunft des CityLAB Berlins durfte hinter die Kulissen eines Bürgeramts schauen und hat so einen Prototyp entwickelt, um die Arbeitsabläufe in der Verwaltung besser zu verstehen. Im Interview erzählt Tobias Witt, Service Designer im CityLAB Berlin, wie das Team bei dem Prozess vorgegangen sind und wie das Bürgeramt der Zukunft aussehen kann.
Wie ist das Projekt Bürgeramt der Zukunft eigentlich zustande gekommen?
Tobias Witt: Zustande gekommen ist das Projekt damals als die Amtsleitung der Bürgerdienste von Friedrichshain-Kreuzberg den Berliner Verwaltungspreis für das Ausbildungsbürgeramt gewonnen hat. Dazu gab es eine Veranstaltung, die im CityLAB gehostet wurde. Als sie den Preis bekommen haben, stand dann die Frage im Raum: Die Bürgerämter in Berlin müssen noch zahlreiche Herausforderungen meistern, was sollten wir als Nächstes anpacken? Mit dieser Frage haben wir gemeinsam locker gebrainstormt. Der erste Schritt in unserem Projekt.
“Das Bürgeramt der Zukunft gestalten” – hat sich das außergewöhnliche Vorhaben auch in den Projektstrukturen niedergeschlagen?
Tobias Witt: Besonders war das ergebnisoffene Vorgehen, in diesem Projekt. Wir haben gemeinsam überlegt: Was können wir tun, um die Arbeitsabläufe besser zu verstehen? Und ein Vorschlag von mir war: Lasst uns das doch mal ganz anders probieren und ergebnisoffen arbeiten. Wir gehen erst einmal in eine gründliche Recherche-Phase und gucken, was wir durch die Beobachtung der aktuellen Abläufe herausfinden und erkennen können. Danach sprechen wir wieder miteinander und haben dann eine Grundlage, auf derer wir dann eine Lösung entwickeln können.
Was war das konkrete Ziel? Was wolltet ihr lösen?
Tobias Witt: Der Gedanke war, die Prozesse und Abläufe in einem Bürgeramt besser kennenzulernen und alle relevanten Perspektiven einzunehmen. Da gibt es natürlich auf der einen Seite die Bürger:innen dieser Stadt, die als Kund:innen in ein Bürgeramt kommen und eine Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen. Aber auch die Perspektive der Mitarbeiter:innen war uns wichtig. Wir wussten natürlich, dass der Ruf der Bürgerämter nicht der Beste ist und das belastet natürlich auch die Mitarbeiter:innen in einem Bürgeramt. Viele Dinge sind ja nicht selbstverschuldet, sondern sind durch äußere Umstände bedingt. Und deshalb war das Ziel, erst einmal zu sagen:
Wir wollen verstehen, wie die Abläufe in einem Bürgeramt sind. Verstehen, wo gibt es Schmerzpunkte, sogenannte Pain Points. Und wo würde es mögliche Bereiche und Felder geben, in denen wir etwas machen können.
Wie seid ihr dann genau vorgegangen?
Tobias Witt: Erst einmal wollten wir die Perspektive der Mitarbeiter:innen abholen. Das haben wir gemacht, indem wir eine Tagebuchstudie durchgeführt haben. Das heißt, wir haben Notizbücher gehabt, die wir mit Fragen bestückt haben. Über einen Zeitraum von sechs Wochen haben die Teilnehmer:innen dann acht Fragen beantwortet. Nach diesen sechs Wochen haben wir die Tagebücher eingesammelt und die erste Auswertung gemacht. Dann wussten wir, was läuft gut und was läuft vielleicht nicht so gut. Nach dieser Tagebuchstudie haben wir dann beschlossen, noch mal selbst ins Bürgeramt zu gehen, um die Erkenntnisse zu validieren. Im Ausbildungsbürgeramt haben wir dann eine Beobachtung gemacht, ein sogenanntes Shadowing. Und haben einen Tag lang die Mitarbeiter:innen vor Ort begleitet und uns angeschaut, wie dort die Arbeit ist.
Was habt ihr bei eurer Beobachtung im Bürgeramt herausgefunden?
Tobias Witt: Das war tatsächlich sehr spannend. Das ist auch der Vorteil dieser Shadowing-Methode, dass man Einblicke in Abläufe und einen Arbeitsalltag bekommt, die man sonst gar nicht bekommen würde. Man ist quasi undercover als Mitarbeiter:in unterwegs – das war sehr interessant. Wir haben gesehen, dass jeder Termin, jede Dienstleistung, die erbracht wird, tatsächlich sehr unterschiedlich ist.
Eine sehr spannende Erkenntnis war, dass die Menschen, die in einem Bürgeramt arbeiten, teilweise auch Seelsorger:innen sind. Sie müssen sich sehr viele Sorgen und Probleme anhören und sind den Stimmungen der Bürger:innen – ich sage mal – ausgesetzt. Eine andere Erkenntnis, die uns überrascht hat, war die Belastung Lärmpegel. Die Mitarbeiter:innen arbeiten in Großraum-Büros, in denen teilweise bis zu drei Dienstarbeitsplätze sind. Und dann muss man sich vorstellen, dass Kundenverkehr ist. Es finden verschiedene Gespräche statt, im Hintergrund läuft ein Drucker, es klingelt irgendwo ein Telefon. Dann kommt zwischendurch jemand rein, der sich verlaufen hat. Das sind alles Belastungen, die nicht ganz ohne sind.
Durch den Austausch und unsere Beobachtungen konnten wir außerdem einen großen Zeitfresser im Bürgeramt identifizieren: Bürger:innen, die nicht zu einem Termin erscheinen. Der Zeitaufwand für sogenannte Nicht-Kommer:innen liegt im Schnitt bei 2 bis 3 Minuten, da jede Mitarbeiter:in dazu angehalten ist nach dem Aufrufen einer Vorgangsnummer mehrere Minuten zu warten, bevor der Termin als Nicht-Erschienen markiert werden kann. Außerdem verfallen die Termine ungenutzt und können nicht spontan neu vergeben werden. Das kostet Zeit und führt zu Frust.
Was war das Ergebnis des Recherche-Prozesses und wie geht es jetzt weiter?
Wir haben dann relativ schnell eine Idee entwickelt, die wir gerne prototypisieren wollten: Ein sogenannter Vor-Ort-Check-in. Die Bürger:innen werden beim Betreten des Bürgeramts zu einem Check-In geleitet, an dem sie sich mit ihrer Terminnummer offiziell einchecken können. Die Mitarbeiter:innen können so von ihrem eigenen Schreibtisch aus einsehen, welche Kund:innen vor Ort sind. Wenn eine Bürger:in nicht erscheint, kann der Termin spontan neu vergeben werden. So soll die Termineffizienz gesteigert werden und Wartezeiten reduziert werden.
Diese Idee haben wir dann in einen Prototyp umgesetzt und im Ausbildungsbürgeramt und im Bürgeramt in der Yorckstraße getestet. Nach den Prototypen-Tests haben wir die Erkenntnisse aufbereitet und als Paket der Leitung der Bürgerdienste Friedrichshain-Kreuzberg und der Senatsinnenverwaltung übergeben. Die Idee ist, diesen Prototypen hoffentlich noch mal in einen Regel-Testbetrieb zu überführen, um den Check-in über einen längeren Zeitraum zu testen – eventuell sogar digital. Und dann wird der Check-in hoffentlich irgendwann in das Zeit-Management-System der Stadt Berlin überführt und als neue Funktion integriert.
Wie geht es jetzt weiter?
So gesehen ist das Projekt erst einmal für uns abgeschlossen. Der Prototyp ist erstellt, wir haben ihn getestet und verbessert. Dadurch, dass das CityLAB prototypisch arbeitet, ist unsere Rolle an dieser Stelle erfüllt. Die Erkenntnisse aus der Tagebuchstudie und dem Shadowing waren sehr zahlreich und wir werden uns demnächst noch mal mit der Leitung der Bürgerdienste zusammensetzen und gucken, ob es noch einen anderen Schwerpunkt gibt, den wir weiterverfolgen können.
Was ist dein Fazit zum Bürgeramt der Zukunft?
Viele betreiben Bashing und sagen: „In der Verwaltung passiert ja eh nichts, das dauert alles viel zu lange.“ Ich habe gelernt: Da geht durchaus einiges in der Digitalisierung in der Verwaltung. Es gibt aber auch Vorgaben und Richtlinien, an die sich die Verwaltungsmitarbeiter:innen halten müssen. Und in diesem engen Korsett Innovationen zu betreiben ist anspruchsvoll. Ich freue ich mich, dass man unserem externen Blick mit so viel Offenheit begegnet ist und wir gemeinsam schauen konnten, wo gibt es eigentlich Potenziale, Herausforderungen, die man angehen kann. Der Wille zur Veränderung ist da, daran besteht kein Zweifel!
CityLAB Berlin
Im CityLAB wird Innovation und Partizipation zusammengedacht: Verwaltung und Stadtgesellschaft arbeiten hier gemeinsam an Lösungen für das digitale Berlin von Morgen.