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Digitale Teilhabe für alle: Das Seniorennetz Berlin

Mal eben eine Online-Überweisung erledigen, Bilder im Familienchat teilen oder eine Freizeitaktivität googeln: Unser Alltag ist fest mit dem Internet und seinen unterschiedlichen Anwendungen verknüpft. Doch viele ältere Menschen nutzen das Netz bisher nicht oder nur sehr eingeschränkt – mit Folgen, u.a. für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Mit einem berlinweiten Netzwerk will das Seniorennetz Berlin sie selbstbestimmt fit für die digitale Zukunft machen. Projektleiterin Melanie Thoma erzählt im Blog von der Idee hinter dem Seniorennetz, Erfolgen und Herausforderungen bei der Umsetzung.

Ältere Frau sitzt vor einem Tablet und schaut sich die Plattform Seniorennetz an
© Seniorennetz Berlin / Lena_Giovanazzi

Zuallererst: Wie ist die Idee für das Projekt entstanden?

Melanie Thoma: Ende 2020 ist das Projekt Seniorennetz Berlin bei uns in der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Berlin gelandet. Das Vorgängerprojekt war das SeniorenNetz Märkisches Viertel, das von 2016 bis 2020 umgesetzt wurde. Damals sind die Verantwortlichen an uns herangetreten und haben gefragt, ob die AWO das Projekt berlinweit skalieren möchte. Für uns war die Entscheidung schnell klar – mitten in der Pandemie haben wir dann mit der Umsetzung begonnen. Die vorhandenen Bausteine des Projektes haben wir dabei weitestgehend beibehalten: Die Open-Source-Internetplattform, die analogen Anlaufstellen sowie die kostenfreien Tabletkurse. Bedingt durch die damalige Pandemie-Situation war für uns von Anfang an klar, dass die Online-Plattform ­– im Gegensatz zu den anderen Projektbausteinen, die wir erstmal in Modellbezirken getestet haben – sofort für alle Berliner Senior:innen zugänglich sein muss. Sie ist mittlerweile das Herzstück des Projektes und bietet älteren Menschen eine umfassende Übersicht über Angebote und Veranstaltungen in ihrem Sozialraum, die nichts oder nur sehr wenig kosten.

Und wie konnte die (Weiter)Entwicklung der Plattform mitten in der Pandemie gelingen?

Melanie Thoma: Durch die enge Zusammenarbeit mit der Zielgruppe! Wir wollten die Anwendung so partizipativ und zielgruppengerecht wie möglich gestalten. Mitgewirkt haben beispielsweise von Anfang an die Koordinator:innen der Altenhilfe und Geriatrie sowie die Senior:innen selbst. So entstanden etwa nach der Hälfte der Projektlaufzeit die inhaltlichen Schwerpunkte Freizeit, Kultur und Bildung sowie unterschiedliche Filterkategorien. Zudem haben wir die in Berlin gesetzten Anforderungen an Barrierefreiheit berücksichtigt, die Plattform möglichst intuitiv und leicht bedienbar gestaltet und alle Angebote in verständlicher Sprache sowie alternativen Sprachversionen verfasst. Wir optimieren aber natürlich stetig weiter.

Und wie landen die konkreten Angebote auf der Plattform?

Melanie Thoma: Nicht wir tragen die Veranstaltungen ein, sondern die Anbietenden selbst. Hervorzuheben ist die Kooperation mit den Berliner Volkshochschulen, die tagesaktuell über eine Schnittstelle passende Angebote auf unsere Plattform übertragen. Aber auch eine einzelne Seniorin, die beispielsweise mit anderen über das Tempelhofer Feld spazieren will, kann diese Veranstaltung bei uns listen. Dass sich ältere Menschen die Plattform zu eigen machen ist für uns nämlich ein ungemein wichtiges Ziel. Alle Vorschläge werden natürlich von uns überprüft, angepasst und erst dann veröffentlicht.

Aus welchen anderen Bausteinen besteht das Projekt?

Melanie Thoma: Bei den Info-Boxen handelt es sich um analoge Anlaufstellen, ausgestattet mit Laserdrucker und seniorengerechtem iPad. Die Idee hinter diesem Baustein ist es, die zu erreichen, die noch gar nicht im digitalen Netz anzutreffen sind – ein Seniorennetz vor Ort sozusagen. Die Info-Boxen ermöglichen Menschen ohne eigenes Endgerät, WLAN oder geringen bis keinen Anwenderkenntnissen den Zugang zu unserem Angebot. Innerhalb der Modelphase wurden mit den Bezirken  Mitte, Pankow und Spandau Kooperationsvereinbarungen zur Umsetzung aller drei Projektbausteine unterzeichnet. Mit den Info-Boxen – zu finden insbesondere in Bibliotheken – wurde das Seniorennetz Berlin von der Initiative Digital Pakt Alter der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) zu einem Lern- und Erfahrungsort in Deutschland ausgewählt. In den Bibliotheken fanden größtenteils auch die kostenfreien Tabletkurse mit jeweils 9 Modulen statt ­– der dritte Baustein unseres Projektes.

Was viele vergessen: Das Internet ist für ältere Menschen oft eine wichtige Infrastruktur, um länger selbstbestimmt in der Häuslichkeit zu leben. Auch dafür brauchen sie digitale Fähigkeiten. 

Melanie Thoma, Projektleiterin Seniorennetz Berlin

Älterer Mann in einem Rollstuhl sitzt vor der Info-Box des Seniorennetzes Berlin
© Seniorennetz Berlin / Lena_Giovanazzi

Auf welche gesellschaftlichen Herausforderungen will das Seniorennetz Berlin reagieren?

Melanie Thoma: Wir wollen älteren Menschen weiterhin die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Zudem wollen wir sie in die Lage versetzen, selbstwirksam eigene Ideen zu formulieren und zu lernen. Längst ist aber auch die Kriminal- und Verkehrsunfallprävention ein Thema: Kürzlich haben wir eine Kooperation mit der Polizei Berlin gestartet. Dieser Bedarf wurde ganz konkret aus der Zielgruppe an uns herangetragen. Was viele vergessen: Das Internet ist für ältere Menschen oft eine wichtige Infrastruktur, um länger selbstbestimmt in der Häuslichkeit zu leben. Auch dafür brauchen sie digitale Fähigkeiten. 

Gibt es konkrete Erfolge, von denen Sie erzählen können?

Melanie Thoma: Eine der ersten Teilnehmerinnen bei uns war fast 80, verwitwet, gänzlich ohne digitale Vorerfahrung. Aber sie wollte lernen und hat alles aufgesaugt. Mittlerweile engagiert sie sich bei uns als Ehrenamtliche und sagt: „Ich habe es geschafft. Ich bin wieder in der Gesellschaft angekommen.“ Das macht stolz. Neben diesen einzelnen Geschichten freut mich im Besonderen, dass unser Angebot auch von der Altenpflege, den Begegnungsstätten oder Pflegestützpunkten extrem gut angenommen und breit genutzt wird.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen?

Melanie Thoma: Schwierig ist es, die Gruppe von älteren Menschen zu erreichen, die noch gar nicht oder kaum digital unterwegs ist. Das hat natürlich auch viel mit Vertrauen zu tun. Ich beobachte zudem, dass es in den Kiezen, die eher von Armut geprägt sind, noch schwerer ist, Menschen von unserem Angebot zu überzeugen. Dabei wollen wir gerade hier wirken. Manchmal hilft dann auch Geduld: Wir sehen, dass viele erst skeptisch sind, dann aber über Themen wie Online-Banking oder die Nutzung von Messengern gezwungenermaßen bei uns aufschlagen.

Was ist ihre Vision für das Projekt?

Melanie Thoma: Ich frage am Anfang unserer Tabletkurse immer: „Wenn ihr z.B. online einen Yoga-Kurs sucht oder einen Theaterbesuch plant, wie macht ihr das?“ Und dann gehen wir gemeinsam durch die Google-Suche und erleben nochmal, wie komplex es ist, diese vielen, vielen Einträge zu navigieren – von der Unterscheidung von Werbung, seriösen und unseriösen Angeboten mal ganz zu schweigen. Am Ende ist daher unser Ziel, dass wir älteren Menschen einen geschützten Online-Raum schaffen, den wir gemeinsam mit ihnen navigieren. Eine Art Mini-Google. Wo sie digital selbstbestimmt und dann wieder bewusst analog am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Zum Projekt: Das Seniorennetz Berlin wird seit Dezember 2020 von der AWO Berlin in Kooperation mit dem Design-Büro place/making und gefördert durch die Lotto-Stiftung Berlin umgesetzt. Das Seniorennetz basiert dabei auf drei Säulen: einer Online-Plattform mit nicht-kommerziellen, zielgruppenspezifischen Freizeit- und Kulturangeboten, analogen Anlaufstellen zur Einführung in die digitale Welt sowie kostenlosen Tablet-Schulungen für Interessierte. Weitere Informationen

Veranstaltungshinweis: Am 13. September ist das Seniorennetz auch mit einem Veranstaltungsformat im Rahmen des Kiezlabors vom CityLAB Berlin vertreten. Hier geht es zur Veranstaltung