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„Sobald Menschen zusammenkommen, stellen alle fest, wie wichtig Austausch ist“

Kathleen Fritzsche vom Stifterverband
Foto: Kathleen Fritzsche, Stifterverband

Im September 2022 wurde die „Charta für digitale Bildungsinnovationen“ vom Stifterverband veröffentlicht – ein wichtiger Schritt für mehr innovative Lehr- und Lernkonzepte. Die Technologiestiftung Berlin gehörte zu den Erstunterzeichnenden. Kathleen Fritzsche, seit 2021 Programmmanagerin beim Stifterverband im Bereich „Programm und Förderung“, hat die Entwicklung der Charta von Anfang an betreut. Die größte Herausforderung des fast einjährigen Entwicklungsprozesses? Ganz klar: Allen Stakeholder:innen und Perspektiven gerecht zu werden. Wir sprechen mit ihr über die Besonderheiten der Charta, das Konzept der Change Champions und die Bedeutung von Open Source für die Formulierung von Bildungsstandards.

Seit Beginn der Pandemie hat die Debatte um gute digitale Bildung wieder an Dynamik gewonnen. In einer gewissen Regelmäßigkeit begegnen uns neue Studien, Hackathons oder Leitlinien. Was ist das Besondere an der "Charta für digitale Bildungsinnovationen" und was will sie erreichen?  

Kathleen Fritzsche: Die Charta soll in einem ersten Schritt vor allem die Herausforderungen zusammenfassen, die die Entwicklung digitaler Bildungsinnovationen bzw. die Zusammenarbeit von Hochschulen und möglichen externen Partnern aufwirft. Ihre besondere Leistung ist es dann, mögliche Lösungsansätze aufzuzeigen, damit verschiedene Stakeholder gut miteinander arbeiten können – sowie ein Zielbild der zukunftsfähigen Bildung zu entwickeln. Denn: Digitale Lösungen sind kein Selbstzweck. Um Lehre und auch die Verwaltung zu verbessern, müssen wir den Raum aufmachen für neue Kooperationen sowie rechtliche wie infrastrukturelle Rahmenbedingungen schaffen, um experimentieren zu können. Neben diesen Entwicklungsfragen kann die Charta aber auch die Basis für die Forderungen der Bildungscommunity an die politischen Stakeholder sein.  

Die Charta wurde im Rahmen eines partizipativen Multistakeholder-Prozesses entwickelt. Hat dieser Prozess aus ihrer Sicht Potenzial für andere Projekte?  

Kathleen Fritzsche: Unbedingt! Der Multistakeholder-Prozess rund um die Charta hat uns nochmal aufgezeigt, wie wahnsinnig wertvoll und notwendig die unterschiedlichen Perspektiven für die Entwicklung gemeinsamer Standards oder Richtlinien – nicht nur in der Bildung – sind. Gleichzeitig ist es ein sehr aufwendiger Prozess, der gerade durch das sukzessive Einarbeiten von Impulsen viel Zeit und Organisationsstärke benötigt. Man muss zudem über eine Community verfügen, die diesen Prozess begleiten kann und will. Der wohl wichtigste Aspekt ist aber das Mindset: Immer wieder die eigenen Thesen zu hinterfragen ist eine der wichtigsten Anforderungen an die Prozessbeteiligten.  

Von Experimentierklauseln und Change Champions

Foto von Marvin Meyer on Unsplash

Sie sprachen gerade die Community an, die die Entwicklung der Charta begleitet hat. Aus welchen Vertreter:innen bestand diese – und wie sind Sie mit Konflikten umgegangen?  

Kathleen Fritzsche: Die Community sollte möglichst viele unterschiedliche Perspektiven widerspiegeln und bestand sowohl aus Studierenden und Hochschulvertreter:innen auf Leitungs- wie operativer Ebene als auch aus EdTech-Unternehmen und Vertreter:innen der OER- und Open-Source-Community. Gerade im Rahmen der Online-Kommentierung der Charta wurde natürlich rege diskutiert, aber: Lösungen konnten die Teilnehmenden häufig direkt miteinander finden, ohne dass wir vermitteln oder eingreifen mussten. 

Freiräume sind wichtig – die Charta geht sogar so weit Experimentierklauseln zu fordern. Was ist darunter zu verstehen? 

Kathleen Fritzsche: Gerade für die Hochschulen war dieser rechtliche Handlungsspielraum sehr wichtig, deswegen haben sie den Punkt auch aktiv in die Diskussion miteingebracht. Ihnen geht es um ganz praktische Fragen wie: Was wenn wir mit externen Partner:innen zusammenarbeiten – das Projekt aber nicht erfolgreich ist? Wie können aktuelle Vergabeverfahren auch für kleinere Akteur:innen geöffnet werden? Im Kern geht es darum, rechtlich wie strukturell Freiräume zu schaffen, damit die Hochschulen grundsätzlich oder für definierte Phasen und Projekte mehr Freiheiten haben, mit Partner:innen auf Lösungssuche zu gehen.  

Ich persönlich glaube übrigens, dass das Erlebnis des Scheiterns zu ganz wichtigen Erkenntnissen und nächsten Schritten führen kann, auch wenn es im Grunde natürlich keine angenehme Erfahrung ist. Bildungsakteur:innen sollten in einem gewissen Rahmen auch die Möglichkeit erhalten, Dinge auszutesten und alternative Wege einzuschlagen, wenn die Ursprungsidee nicht funktioniert. Darunter sollte natürlich die Lehre nicht leiden. 

In der Charta ist von Change Champions die Rede. Was kann man sich darunter vorstellen?  

Kathleen Fritzsche: Wir beobachten schon länger, dass es viele motivierte Leute – sei es an den Hochschulen oder bei den EdTechs gibt – die längst loslegen und eigene Lösungen entwickeln. Viel zu oft fehlt aber die Zeit, das Durchkommen durch die Strukturen oder der Rückhalt, genau diese Lösungen weiter in die Breite zu tragen. Durch das Konzept der Change Champions wollen wir bei Hochschulen das Bewusstsein stärken, dass die Ideen und die Multiplikator:innen häufig schon in den eigenen Reihen vorhanden sind. Die Aufgabe liegt also vor allem darin, diese Personen zu identifizieren, ihnen den Weg zu ebnen sowie den Erfahrungsaustausch insgesamt zu verbessern. 

In der Charta steht auch, dass der Input aus der Open Source-Community mitentscheidend ist. Welches Potenzial sehen Sie gerade in diesem Bereich? 

Kathleen Fritzsche: Was viele nicht wissen: Open Source-Lösungen genauso wie Open Educational Resources sind häufig die Basis für viele innovative Strukturen und Prozesse an Hochschulen. Umso wichtiger ist es, das Wissen der Open Source-Community stärker nutzbar zu machen – gerade für die Weiterentwicklung digitaler Lösungen und hier insbesondere im Anwendungsbereich. Manchmal hilft aber auch schon die Erkenntnis, dass bestehende Open-Source-Lösungen keinen Ansatzpunkt bieten. Das macht die Entwicklungsprozesse auf Seite der Hochschulen effizienter.  

Die Technologiestiftung gehörte zu den Erstunterzeichnenden der Charta. Wie sehen sie die Rolle von Stiftungen bei der Entwicklung von Bildungsinnovationen insgesamt?  

Kathleen Fritzsche: Über den Austausch und die Unterstützung der Technologiestiftung haben wir uns sehr gefreut. Stiftungen nehmen aus unserer Sicht eine sehr wichtige Rolle als Treiberinnen von Transformationsprozessen ein. Durch ihre Unabhängigkeit können sie Themen im Diskus anders platzieren und dadurch Umsetzungen anstoßen wie es andere Bildungsakteur:innen so nicht vermögen. 

Die Charta spricht auch vom Mut und von Multiplikator:innen, die andere anstecken. Wie können wir die Kultur in der Bildung verändern? 

Kathleen Fritzsche: Allein im Alltag fällt die Umsetzung oft schwer. Sobald Menschen dann aber zusammenkommen und miteinander sprechen, stellen alle fest, wie wichtig dieser Austausch ist. Und dass man fast immer vor sehr ähnlichen Herausforderungen steht. Diese Erkenntnis ist ungemein wichtig. Mutig ist es dann offen zu sagen: „Wir kriegen das alleine nicht gelöst und benötigen Input von außen.“. Das ist der Schlüssel – und ein Impuls, den die Charta setzen will.