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  • Thema Neue Technologien

Krypto-IoT-Netze zwischen Heißem S* und Schneeballsystem

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  • Rubrik Kommentar
  • Veröffentlichungsdatum 22.02.2022
Dr. Christian Hammel

Macht die Finanzierung von IoT-Datenverkehr mit Krypto-Geld LoRaWAN dauerhaft zur ubiquitären Massentechnologie, sind die neuen Krypto-IoT-Netze reine Schneeballsysteme von und für Zocker:innen oder ist die Realität doch etwas differenzierter als die Schlagzeilen?

Neue IoT-Netzwerke auf Basis blockchainbasierter Krypto-Tokens verbreiten sich viral

IoT-Netzwerke, die den Datentransport mit dem Mining bzw. der Bezahlung und dem Transfer neuer Kryptowährungen verbinden, wachsen aktuell rasant. Wie diese (technisch gesehen) funktionieren, habe ich vor ca. 2 Jahren am Beispiel Helium, das per Pressemitteilung der Firmen Helium und Semtech am 5.3.2020 offiziell an den Start ging, im Blog der Stiftung (1) und ausführlicher im TTN-Blog (2) erklärt. Helium, das Anfang 2020 in Europa noch gar nicht verfügbar war, hat inzwischen alleine in Berlin etwas über 3.000 Gateways am Start, von denen rund 2.000 aktiv waren (3). Das ist weit mehr als die rund 200 Gateways der Berliner TTN Community und kommt bei visuellem Abgleich mit der kartografischen Darstellung der EMF-Datenbank der BNetzA (4) schon in die Größenordnung der in Berlin installierten Mobilfunk-Basisstationen. Ein experimentelles Endgerät in Berlin mit Helium zu verbinden, war bei ordentlicher Verbindungsqualität nach dem Erfahrungsbericht eines Mitgliedes aus der Berliner TTN/LoRaWAN-Community problemlos möglich. Nutzer, die Produktivdaten über die neuen Netze schicken, konnte ich in Berlin bisher nicht ausmachen. Helium ist zwar das nach meiner Kenntnis in Berlin größte Netzwerk dieses neuen Typus, aber bei weitem nicht das einzige: Coinmarketcap (5) listet 57 verschiedene IoT-Krypto-Tokens, von denen 37 so aktiv waren, dass man eine Marktgröße ermitteln konnte. Für Helium Network Tokens wird am 21.2.2022 ein Marktkapitalisierung von 2,3 Mrd. € angegeben. Über 100 Mio. € Marktkapitalisierung kommen immerhin 9 unterschiedliche Kryptogelder, darunter auch eines aus Berlin. Beachtlich, da es diese Kryptowährungen erst seit Kurzem gibt, aber von der Marktkapitalisierung von Bitcoins (640 Mrd. €) oder Ether (282 Mrd. €) sind die neuen IoT-Kryptowährungen noch weit entfernt.

Woher kommt das rasante Wachstum?

Um nachzuvollziehen woher das Wachstum der neuen Netze kommt, bietet sich ein Blick auf die unterschiedlichen Wachstumsstrategien in diesem Segment an oder, platt gesagt, darauf wie man Hundertausende von Gateways (gleich Basisstationen, Routern, Hotspots, usw.)  finanzieren will:
Entweder man hat sie schon, am besten einschließlich Roaming (Peering) – Abkommen. Das gilt für die großen Mobilfunkgesellschaften, die deshalb auch vorrangig Mobilfunktechnologien für das IoT propagieren.

Oder man finanziert sie schrittweise selbst, dahingestellt ob aus Eigenkapital, Fördermitteln  und Investorengeld oder aus Fremdkapital oder aus Umsätzen mit Datenverkehr, ein Modell, das bei Sigfox in die Insolvenz geführt hat (6).

Oder man bringt Privatpersonen dazu Gateways selbst zu kaufen und sie aufzustellen. Diesen Weg hat The Things Industries beschritten, indem man die zentralen Strukturen des The Things Network kostenlos zur Verfügung stellt und jedermann ermöglicht, ein Gateway an dieses offene Netz anzuschließen. Damit ist man bisher auf bisher 20.000 Gateways weltweit gekommen. Aufsteller:innen sind eine bunte Mischung aus Hobbyisten, Aktivisten, Firmen und Forschungseinrichtungen, Gemeinden oder auch der Technologiestiftung, die dieses offene Netz als Gelegenheit sehen, sich dort LoRaWAN-Abdeckung zu schaffen, wo sie sie für eigene Zwecke, vom Hardware-Prototyping über Bildungsprojekte, Erfassung und Publikation offener Daten, Naturschutzprojekte oder smart city Demonstratoren benötigen. Als Gateway kommt ein Gerätezoo von einfachen Geräten in der Raspi-Leistungsklasse ab knapp 100,- € oder noch preiswerteren Selbstbaulösungen bis zu Profi-Outdoorgeräten für mehrere Hundert € zum Einsatz.

Grundsätzlich den gleichen Ansatz, dass Privatpersonen Gateways selbst kaufen und betreiben, verfolgen auch die neuen Krypto-IoT-Netze. Mit einem entscheidenden Unterschied, allerdings: Das angesprochene Motiv, Gateways aufzustellen ist weder Altruismus noch der Bedarf, eigene IoT-Daten zu transportieren, sondern mit dem Betrieb der Gateways Geld zu verdienen. Und das geht (mit Abwandlungen bei verschiedenen Anbietern) im Prinzip so: Alle dieser Netze wickeln ihre Transaktionen über eine Blockchain ab. Der Konsensfindungsmechanismus unterscheidet sich von den bei Bitcoin, Ethereum und vielen anderen Blockchains üblichen Mechanismen und beruht auf Validierung von Aktivität, Standort oder beidem durch mehrere Hotspots mit validierten Standorten. Die Validierungsarbeit der Gateways und ebenso der Transport von IoT-Daten wird mit Tokens der jeweiligen Kryptowährung bezahlt. Die Details sind mannigfaltig: Manche der Netzwerke ermöglichen zusätzlich zum Mining durch Validierung von Nachbarn auch noch weitere Formen von Mining, andere sehen gar kein Mining vor, wieder andere kennen spezielle Nodes (bei Helium Full Hotspot Miner), die Teil einer Validator Group sind und minen können, neben billigeren Gateways, die nicht minen, sondern nur Daten transportieren (bei Helium: Light Hotspots), für Helium zusammengefasst in (7). Manche Netzwerke nutzen gleich mehrere „Währungen“. Manche lassen sich den Datentransport für Dritte in ihrer eigenen Kryptowährung bezahlen, andere verkaufen Transportgutscheine (data credits) gegen staatliche Währung (echtes Geld), manche beides.

Woher  kommt das Geld, das die Gatewaybetreiber:innen verdienen wollen?

Perspektivisch und nach den Visionen der Anbieter soll das Geld à la longue aus Gebühren für den Datentransport kommen, für die Drittnutzer entsprechenden Tokens kaufen müssen. Bis da hin löst man das Henne-Ei-Problem des IoT (kein Netz- keine Daten – keine Gebühren vs. keine Daten – kein Netz – keine Gebühren), indem die Initiator:innen Gateways zu (gemessen am Hardwarewert) exorbitanten Preisen verkaufen (500 bis 3.000 € für Hardware der Raspi-Leistungsklasse) und aus den Gewinnen die Aufsteller:innen mit Tokens in eigener Kryptowährung honorieren. In manchen Netzwerken müssen Gatewayaufsteller:innen obendrein ihr neues Gateway erst mit separat zu erwerbenden Tokens „aufladen“, da sie ohne Mindestbestand an Tokens gar nicht an der Konsensfindung teilnehmen können. Wo also Einnahmen aus bezahltem Datentransport oder Gelder von Investoren für die Honorierung des Gatewaybetriebes nicht ausreichen, wird man also entweder neue Betreiber:innen aus Einzahlungen der letzten  Generation von Gatewaybetreiber:innen honorieren müssent, oder der Kurs der jeweiligen Kryptowährung wird gewaltig sinken, wenn niemand mehr die Tokens für seinen eigenen Einstieg ins System benötigt. Es sei denn, an den Kryptobörsen kommt gerade das Zocken  mit IoT Kryptotokens in Mode. Dann kann auch alles anders kommen.

Dazu, dass Helium so stark gewachsen ist, dürfte massiv beigetragen haben, dass Helium das Validieren neuer Gateways an Standorten, an denen kaum andere Gateways stehen, deutlich stärker belohnt als an Standorten mit hoher Gatewaydichte und ebenso höhere Reichweiten zu vielen anderen Gateways stärker honoriert als kleinere.

Kann man damit (noch) Geld verdienen?

Konkret: Während sich in Berlin-Mitte mit einem Helium-Gateway an exponiertem Standort anfangs angeblich noch monatliche Einnahmen von 2.000 bis 3.000 USD erzielen ließen, ist das lt. btc-echo auf 50 bis 150 € gesunken (8). Nach meinen eigenen Stichproben, recherchiert in (3) sind die Einnahmen meist noch geringer. Schlagzeilen machen natürlich nur die Gateways, die sich in ein paar Tagen schon amortisiert haben. Ein zufällig ausgewähltes Gateway in meiner Steglitzer Nachbarschaft (9) hat innerhalb eines Tages ganze 20 Datenpakete transportiert, innerhalb von 5 Tagen zwei Standorte anderer Gateways validiert und innerhalb von 30 Tagen 0.64 USD Einnahmen erzielt. Wenn es so weitergeht, immerhin nur noch rund 130.000 Jahre bis zur Einahmenmillion!. Von den 11 Gateways rund um den bayerischen Platz hat der Spitzenreiter in 30 Tagen 16,18 USD Einnahmen erzielt. Höhere Einnahmen scheinen nur noch auf dem platten Land (z.B. 171 USD mitten im Nationalpark unteres Odertal) oder an äußerst guten Standorten (neu, hoch gelegen, Reichweite zu vielen weiter entfernten Gateways) in Stadtquartieren mit geringer Gatewaydichte (z.B. 356 USD im tiefsten Lankwitz) möglich. Millionenstädte mit geringen Gatewayzahlen wird man kaum noch finden und selbst an ländlichen Mittelgebirgsstandorten mit extremen Reichweiten brachte ein wirklich lohnendes Gateway im letzten Monat nicht mehrere Tausend, sondern 650 USD an Einnahmen (Dobel mit Reichweiten über das gesamte Elsass und bis in den Frankfurter Raum).

Schneeball oder Dauerbetrieb?

Wegen ihres viralen Wachstums und der Pflicht, zunächst teure Gateways oder Tokens zu kaufen, mögen diese neuen Netze auf den ersten Blick wie ein Schneeballsystem oder Ponzi System wirken. Allerdings mit gravierenden Unterschieden: Schneeballsysteme und Ponzi Systeme gehen mit mathematischer Zwangsläufigkeit zu Lasten der Teilnehmer schief. Das Geldverdienen durch den Transport von IoT-Daten könnte wirtschaftlich durchaus klappen, wenn die Daten denn kommen. Außerdem sind die Geldquellen und -empfänger nicht verschleiert und man kann obendrein mit den Tokens auch an Kryptobörsen zocken. Die virale Ausbreitung durch die hohen Vergütungen an kaum versorgten Standorten wird durch das Absinken der Vergütung schnell nachlassen (sie werden endemisch, wie man heute sagt). Ein klassisches Schneeballsystem sieht bei Betrachtung der Details etwas anders aus. Die neuen Netze sind wohl eher eine Mischung aus Wetten auf die Zukunft und modischer Kryptozockerei, an der zumindest die Initiator:innen und die early birds gut verdient haben (in Kryptotokens, zumindest). Ich würde sie wirtschaftlich eher mit IPOs aus der Zeit der letzten dotcom-Blase vergleichen als mit Schneeballsystemen.

Für eine Antwort, ob sie auf die künftige IoT-Datenmenge spekulieren oder mit Tokens spekulieren wollen, werden Gatewaybetreiber:innen in spe sich wohl einige weitere Fragen beantworten müssen: Wirkt die Stärke von LoRaWAN, Kleinstmengen an Daten dort hin zu befördern, wo keine Kabel hinführen und wo schlecht funken ist, dem Preisverfall für den Standard-Transport von Daten ausreichend entgegen? Wie entwickeln sich die Preise für LoRa-Funkbausteine? Sind die Besitzer:innen größerer Mengen von Tokens darauf aus, schnell Kasse in Form anderer Tokens oder staatlicher Währungen zu machen?

Ob Kryptotoken basierte LoRaWAN-Netze eine Chance auf Dauerbetrieb haben wird letztlich von der Entwicklung des IoT-Datenverkehrs und vom Wettbewerb abhängen. Bei Helium kostet der Transport eines Datenpaketes von 24 Bytes aktuell 0,00001 USD also um 4 ct pro Kilobyte (10). Die Preise für das An- und Abmelden von Gateways liegen in der Größenordnung der Einrichtungsgebühren vieler Telekommunikationsverträge. Zum Vergleich: NB-IoT über Mobilfunk kostet um 1,- € pro Jahr und Endgeräte-SIM inclusive aller Daten (7). Was es kostet, sich von einem der vielen Anbieter am Markt sein eigenes privates LoRaWAN-Netz bauen zu lassen, weiß ich nicht.


FAZIT

  • Die Verfügbarkeit von LoRaWAN in Berlin ist durch das virale Wachstum von Helium enorm angestiegen und dürfte beinahe flächendeckend sein.
  • Ob der durch übertrieben enthusiastische Meldungen über die mit Gateways erzielbaren Einnahmen ausgelöste Boom nach einer gewissen Ernüchterung über die tatsächlichen Zahlen wirklich zu einem dauerhaften Betrieb der Gateways führt und welche Anbieter von krypto-IoT-Netzen überleben werden, ist aktuell nicht realistisch einzuschätzen.
  • Wie viele zahlende Nutzer tatsächlich für den Transport von Daten aus produktiven Systemen durch diese Netze gewonnen werden können, ist so wenig prognostizierbar wie bei allen anderen IoT-Netzen auch. Preislich scheinen sie für Endnutzer einigermaßen im Rahmen des Wettbewerbs zu liegen.
  • Wer als Privatperson mit den neuen krypto-IoT-Netzen Geld verdienen möchte, braucht entweder einen „speziellen“ Standort, um Extravergütungen aus dem initialen Wachstum mitzunehmen oder einen sehr langen Atem oder Zocker:innenglück an Kryptobörsen.
  • Wer sich zum Transport eigener Daten dort Konnektivität verschaffen will, wo die Mobilfunker keine anbieten, kann dies durch Aufstellen eigener Gateways im TNN-Netz ebenso erreichen wie in einem Krypto-Netz. So lange das IoT-Datenvolumen Dritter nicht massiv wächst, sind TTN-fähige Gateways allerdings günstiger, obwohl sie kein Einnahmepotenzial bieten.
  • Wer LoRaWAN ausprobieren oder erlernen möchte, dürfte sich nach meiner Einschätzung im TTN wegen des Supports durch eine aktive Community und dadurch, dass man sich nicht auch noch um Zahlungen kümmern muss, leichter tun. Zumindest Helium hat es aber geschafft, so anwenderfreundlich zu sein, dass man den ganzen Krypto-Blockchain-Token-Halleluja-Sprech nicht wirklich verstehen muss, um es zu nutzen. Ohne Wallet geht es aber nicht.

 

Quellen: (letzter Abruf aller Quellen: 21.02.2022)

(1) www.technologiestiftung-berlin.de/blog/lorawan-als-mesh-netz


(2) www.thethingsnetwork.org/community/berlin/post/helium-ein-lorawan-mesh


(3) Gesamtzahlen sowie die im Text erwähnten Umsatzzahlen einzelner Hotspots: explorer.helium.com/hotspots Angegebene Zahlen sind alle Stand 21.02.2022.


(4) www.bundesnetzagentur.de/DE/Vportal/TK/Funktechnik/EMF/start.html


(5) coinmarketcap.com/de/view/iot/


(6) www.computerwoche.de/a/iot-startup-sigfox-ist-pleite,3552595


(7) www.pcwelt.de/ratgeber/Helium-Miner-Geld-verdienen-ohne-Arbeit-so-geht-s-mit-der-Kryptowaehrung-HNT-11171638.html


(8) www.btc-echo.de/news/helium-network-hnt-iot-boom-profitieren-118025/


(9) explorer.helium.com/hotspots/112Xr6J87veMU3HjMoTjSzxU1hK3YNpyE2tFEGpRK19K98Rz2bz8/activity


(10) https://docs.helium.com/blockchain/transaction-fees


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