Treffpunkt WissensWerte: Urbane Landwirtschaft – Hype oder Zukunft?
Berlin im Jahr 2040. In einem 51-geschossigen Hochhaus leben Fische im Erdgeschoss und wachsen Pilze auf dem Dach. Die Außenwände sind mit Beeten versehen, in denen Tomaten reifen und Radieschen sprießen. Abfall, der entsteht, wird direkt wieder verarbeitet. Das Hochhaus dient als anschauliches Beispiel für Vertical Farming. Das ist ein Teil dessen, was Expertinnen und Experten als urbane Landwirtschaft diskutieren. Dahinter steht der Wunsch, Lebensmittel regional und nachhaltig anzubauen und die Stadt grüner werden zu lassen. Das Zukunftsthema birgt eine Bandbreite von Möglichkeiten, das Stadtleben zu verändern. Die urbane Landwirtschaft steht aber noch vor zahlreichen Herausforderungen.
Hinter dem Begriff „Urbane Landwirtschaft“ stehen diverse Ansätze, die Stadt als Anbaufläche zu nutzen, um in unmittelbarer Nähe zu den Bewohner:innen Lebensmittel zu produzieren. Dachfarmen, vertikale Landwirtschaft oder der bodengebundene Anbau fallen darunter, erklärt Dr. Anett Kuntosch. Die Agrarökonomin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Technologiestiftung, ordnet die urbane Landwirtschaft als vielseitigen Lösungsansatz ein. „Wir haben Probleme - zum Beispiel […] Ressourcenübernutzung, Klimawandel, aber auch die Auswirkungen der Corona-Krise, die uns gezeigt hat, wie vulnerabel eigentlich Wertschöpfungsketten sind.“ Die Störanfälligkeit werde immer sichtbarer. Es lohne sich, darüber nachzudenken, wie man auch unsere wachsende Weltbevölkerung unter den sich ändernden Bedingungen künftig ernähren kann, so Kuntosch. Für Uwe Schmidt ist ein wesentlicher Faktor der urbanen Landwirtschaft die Geschlossenheit des agrarischen Systems. Damit beschäftigt sich der Ingenieurwissenschaftler und Professor für Biosystemtechnik am Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin seit Jahren. Gedanklich führe diese Idee seine Kolleg:innen bis ins All. „Die denken bis zum Mars. […] Die NASA, aber auch die ESA, die dann irgendwann auf Mond und Mars siedeln möchte, muss ihre Leute dort ernähren. Und die haben eigentlich alle die gleichen Probleme, die wir jetzt auch haben“, schildert Schmidt. Er liefert die, aus seiner Sicht, zentrale Frage: „Wie kriegt man diese Systeme eigentlich tatsächlich geschlossen zum Operieren?“
Charmante Idee voller Probleme?
In der Stadt gebe es zum einen wenig Ressourcen, zum anderen entstehen aus der Landwirtschaft Reststoffe, die entsorgt werden müssen, so Schmidt. Hinzu kämen andere Faktoren, wie eine wachsende Stadtpopulation und versiegelte Flächen. „Für mich ist die Idee charmant, aber sie ist voller technischer Probleme, die bis heute noch nicht gelöst sind.“ Dem potentiellen Konfliktpotential zwischen Flächenversiegelung und Lebensmittelerzeugung will der Architekt Jörg Finkbeiner konstruktiv begegnen. Sein Unternehmen Dachfarm Berlin plant und baut Gebäudefarmen zur innerstädtischen Produktion von Lebensmitteln. Die Dachfarm könnte, aus seiner Sicht, einfach eine weitere Facette in der Bauplanung werden. Ihn interessiert aber vorrangig der Gebäudebestand. Der mache in Deutschland etwa 70 Prozent aus. „Wir sehen natürlich gerade in den Städten viele ungenutzte Dachflächen, die im Prinzip […] Potenziale böten, diese zu aktivieren und zu nutzen. Insofern wäre es möglich, Lebensmittel zu erzeugen ohne zusätzlichen Flächenverbrauch.“
Viele Akteur:innen und technische Lösungsansätze
Im Rahmen der Nachhaltigkeitsdiskussion habe sich in Berlin eine Vielzahl von Akteur:innen aufgemacht, um sich dem Thema zu widmen, beschreibt die Agrarökonomin Anett Kuntosch die aktuelle Stimmung in der Hauptstadt. So gebe es die Expert:innen, die sich auf die Beleuchtung für Pflanzen spezialisiert hätten und das LED-Pflanzenlicht optimieren. Dann gebe es andere, die sich mit der Sensorik beschäftigen oder Daten sammeln und auswerten. Gerade Letzteres ist aus Sicht von Anett Kuntosch ein Zukunftsthema, das gerade immer stärker an Fahrt aufnehme. Schließlich könnten die Daten letztlich als Entscheidungshilfe dienen – zum Beispiel beim Betreiben von Vertical Farming Systemen. Auch Apps, die Wissen vermitteln und damit die Community befähigen, sich an der Landwirtschaft zu beteiligen, spielen Kuntoschs Meinung nach eine wichtige Rolle bei den technischen Lösungsansätzen. Die Wichtigkeit der Expertise unterstreicht auch Uwe Schmidt. „Ein bisschen […] hat man das Gefühl, dass die Basics fehlen bei dieser ganzen Betrachtungsweise. Basics heißt also Grundlagen des Pflanzenbaus, Grundlagen der Physiologie. Was braucht die Pflanze? Was ist notwendig, wenn ich die Pflanze vom gewachsenen Boden loslöse?“
Mit gekoppelten Agrarsystemen zum Win-win-Effekt
Mit CUBES Circle bewegt sich der Forscher der Humboldt-Universität Berlin, Uwe Schmidt, in großen Schritten auf neue Landwirtschaftsformen zu. Das Projekt ist genau wie sieben weitere Konsortien eingebettet in das bundesweite Programm „Agrarsysteme der Zukunft“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Die Kernfrage, auf die CUBES Circle nach Antworten sucht, ist, wie man agrarische Systeme koppeln kann und tatsächlich einen Win-win-Effekt erzielt. Als Beispiel nennt Schmidt die Aquaponik. Darunter fallen Agrarsysteme, die Fischzucht mit der Kultivierung von Nutzpflanzen miteinander verbinden. „Bei uns kommt noch ein drittes System dazu. Das ist sind die Insekten. Die einfach gesprochene Idee ist: Insekt ernährt Fisch. Fisch hat Abwässer und ernährt die Pflanze. Pflanzenreste gehen zurück an die Insekten“, erklärt Schmidt seinen Herangehensweise einen geschlossenen Kreislauf zu entwickeln. In der Stadt kämen weitere Stoffe dazu, die in die Kreisläufe einfließen könnten. CO2 ließe sich sehr gut im Pflanzenanbau verwerten. Auch städtische Abfälle und sogar menschliches Abwasser sind Teile, deren landwirtschaftlichen Nutzen andere Konsortien des Programms „Agrarsysteme der Zukunft“ untersuchen. Gerade diese Stoffe stoßen allerdings bisher auf extreme Akzeptanzprobleme, für deren Abbau viel Kommunikationsarbeit notwendig ist.
Urbane Potentiale nutzen
Die Stadt hat aber noch mehr zu bieten. Der Architekt Jörg Finkbeiner hält auch das Beheizen der Gewächshäuser für einen wesentlichen Faktor und aus ökologischer Sicht besonders schwierig. „Auch Abwärme ließe sich aus dem Gebäude im Prinzip nutzen. Das heißt, es ist […] unser Ziel zu sagen, wie können wir das, was in der Stadt vorhanden ist - die Stadt ist per se wärmer als das Umland - wie können wir diese ganzen Potenziale nutzen?“ Auf der Dachfläche ließe sich das meiste Licht nutzen. Auf dem kleinen Dach könnten dann die natürlichen Kreisläufe, die auf dem Acker stattfinden, abgebildet werden. Durch die Abwärme der Häuser ließe sich die Vegetationszeit im Herbst sogar noch verlängern, erklärt Finkbeiner. Durch solche Faktoren wäre der Betrieb des Gewächshauses zwar günstiger, die Anbaufläche müsse aber auch sicher sein. So gelte es auch Absturzsicherung und Fluchtwege zu gewährleisten. Gleichzeitig müsse die Fläche groß genug sein, um entsprechende Erträge zu erzielen. Hier käme aber nach Ansicht Finkbeiners eine ganz neue Art der Wertschöpfung zum Tragen. Liefer- und Kühlketten würden größtenteils entfallen. Es würde Verbraucher:innen nah und bei Bedarf geerntet werden. Die urbane Landwirtschaft würde ein anderes Wirtschaftsmodell mit sich bringen als das des klassischen Gemüsebauers.
Berlin – vom Beton zum zur Hightech-Produktion? Eine Frage der Akzeptanz.
In Berlin sei mit dem Cluster Optik und Photonik, in dem Schlüsseltechnologien wie optische Technologien und Mikrosystemtechnik erforscht werden, ein wichtiger Player verortet. Aber auch andere Projekte würden auf der wissenschaftlichen Seite sehr gute Voraussetzungen schaffen, zu forschen und mit kleinen Unternehmen zusammenzugehen, lobt Anett Kuntosch die Standortvorteile Berlins als Stadt der Start-Ups. Bisher seien aber nur wenige Agrarökonomen oder Gartenbauer, die das fachliche Wissen mitbringen, an Vertical Farming Start-Ups beteiligt. Der Markt sei außerdem noch ein Nischenmarkt, so dass oft die Anwendungsfälle fehlen und die Geschäftsmodelle oft nicht rentabel seien, so Kuntosch. Außerdem würden einige Forschungsarbeiten und Befragungen zu dem Thema die teilweise geringe Akzeptanz durch die Verbraucher:innen deutlich machen. „Da kam ganz klar raus, dass die Produkte aus diesem Vertical Farming-Bereich noch keine so große Akzeptanz bei den Konsumenten haben. Eher so um die 30 Prozent.“ Noch hätten die Lebensmittel außerdem einen hohen Preis, ergänzt der Biologe Uwe Schmidt. „Die Produkte, die in der Stadt entstehen, sind teuer. […] Wir brauchen also eine Klientel von Kunden, die bereit sind, diese Preise zu bezahlen.“ Spätestens wenn sich Ressourcenfragen verschärfen, davon ist der Architekt Jörg Finkbeiner überzeugt, stelle sich die Wirtschaftlichkeit anders dar. „Es wird wirtschaftlicher werden. […] Ich habe immer so das Gefühl, es gibt dann so einen Kipppunkt. Und dann kommt es auch viel stärker in die Breite. An dem Punkt sind wir bei der Thematik im Moment einfach noch nicht.“
Der Treffpunkt WissensWerte ist eine gemeinsame Veranstaltung der Technologiestiftung Berlin und rbb24 Inforadio. Die Sendung ist als Podcast in der ARD Audiothek verfügbar.
Im März erschien zeitgleich Anett Kuntoschs Studie Daten.Pflanzen.Stadt. Sensoren und Datenanalyse für Urban Farming und Stadtgrün. Das PDF gibt es hier als Download.
Mit Axel Dorloff, Wissenschaftsredaktion / Chef vom Dienst rbb24 Inforadio, diskutierten:
- Jörg Finkbeiner, Dipl.- Ing. Architekt, Dachfarm Berlin
- Dr. Anett Kuntosch Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Technologiestiftung Berlin
- Prof. Dr. Uwe Schmidt, Humboldt-Universität Berlin, Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften, Leiter des Fachgebiets Biosystemtechnik
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