„Technologie für die städtische Lebensmittelproduktion zu entwickeln, kann eine Chance für Berlin sein“
Gerade ist unsere Studie „Daten. Pflanzen. Stadt.“ erschienen, die sich mit den neuen Möglichkeiten beschäftigt, die die Digitalisierung für das sogenannte Urban Farming, sowie für die Pflege und das Monitoring von Stadtgrün bieten. Im Interview erläutert die Autorin Anett Kuntosch die Ergebnisse.
Die Digitalisierung hat im Agrarbereich in den letzten Jahren viele Impulse gegeben. Aus der Landwirtschaft wurde die Präzisionslandwirtschaft und auch der Trend des Urban Farming wurde durch die technologische Entwicklung befeuert. Was macht die Digitalisierung zu so einem Game Changer?
Anett Kuntosch: Die Landwirtschaft war tatsächlich mit einer der ersten Bereiche, der die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt hat. Denn der Einsatz von Sensorik und Datenauswertung brachte hier beeindruckende ökonomische und ökologische Vorteile. Man kann wertvolle Ressourcen wie Wasser und Düngemittel gezielter und sparsamer einsetzen und leistet somit einen Beitrag zum Schutz der Umwelt.
Für den - überwiegend - nicht-kommerziellen Bereich, das Gärtnern auf Flächen in der Stadt, das meist unter Urban Farming zusammengefasst wird, spielt die Digitalisierung eher eine untergeordnete Rolle. Da geht es selten um Effizienz. Für die meisten Menschen in der Stadt, die innerstädtische Flächen bewirtschaften, ist das ein Hobby. Die Lebensqualität und soziale Aspekte stehen hier eher im Vordergrund. Manche nutzen jedoch Apps, um sich über Themen wie Fruchtfolge oder Anbaumethoden zu informieren und auch, um sich untereinander auszutauschen, aber das ist sicher nicht zentral.
Dagegen nutzt die nicht-bodengebundene Lebensmittelproduktion in der Stadt beispielsweise in Form von indoor oder vertical farming die Digitalisierung, um sämtliche Aspekte des Pflanzenwachstums zu überwachen, zu optimieren und auch Daten zu sammeln. Allerdings ist nicht bei allen Akteuren ausreichend Fachwissen in den Bereichen Pflanzen- und Gartenbau vorhanden. Denn man muss die gesammelten Daten auch interpretieren und einsetzen können. Hier kann Künstliche Intelligenz gegebenenfalls gewinnbringend eingesetzt werden. Wir brauchen daher auch Gründer mit Fachwissen und Datenkompetenz, die beispielsweise einfache Entscheidungstools für die Betriebe entwickeln, damit diese Licht, CO2 oder Düngemittel optimal nutzen können. Allerdings ist der Bereich des Vertical Farming noch so klein, dass sich rentable Geschäftsmodelle nur schwer entwickeln lassen. Dass der Marktzugang schwer ist, zeigt sich auch an dem sehr dynamischen Innovationsgeschehen in Berlin in diesem Bereich. Außerdem müssen noch weitere Fragen wie die Energiethematik gelöst werden: Wenn es beispielsweise nicht gelingt, LEDs effizienter zu machen als bisher, kann die Wirtschaftlichkeit an Standorten wie Berlin oder Deutschland in nächster Zeit nicht realisiert werden. Weitere Herausforderungen sind zunehmende Flächenkonkurrenz in der Stadt, hohe Grundstückpreise, aber auch die Akzeptanz der Konsumenten gegenüber Produkten aus dem Vertical Farming.
Das Fazit ist also, dass, auch wenn sich Vertical Farming als alternatives Produktionssystem für Berlin als Stadt mittelfristig sicher nicht durchsetzen wird, die vorhandenen Kompetenzen in Wirtschaft und Wissenschaft dazu beitragen können, technologische Lösungen weiterzuentwickeln. Denn global gesehen brauchen wir mittelfristig Möglichkeiten, um auf Herausforderungen wie Bevölkerungswachstum, Ernährungssicherheit oder Klimawandel zu reagieren.
In Deiner Studie unterscheidest Du für die „Landwirtschaft“ in der Stadt nicht nur zwischen „Urban Farming“ und „Vertical Farming“. Du nennst auch „Indoor Farming“ und „Aquaponik“. Was genau verbirgt sich hinter den verschiedenen Begriffen?
Anett Kuntosch: Ich habe für die Studie eine Gegenüberstellung der einzelnen Ansätze erstellt, die unter dem Überbegriff des Urban Farming gefasst werden. Rooftop Farming nutzt, wie der Begriff schon anzeigt, beispielsweise Dachflächen für die Lebensmittelproduktion und unter Aquaponik versteht man Anlagen, die zwei Produktionssysteme verbinden, nämlich Fische und Pflanzen. Ein Beispiel ist eine hier in Berlin angesiedelte Firma, die Fische und Tomaten produziert. In Berlin werden übrigens auch alle anderen genannten Spielarten, die in der Tabelle zusammengefasst werden, bereits betrieben, ausprobiert und beforscht.
Du belässt es aber nicht beim Urban Farming in Berlin, sondern gehst in der Studie auch auf die in der Stadt besonders wichtigen Grünflächen ein. Sie geraten durch Klimawandel, aber auch durch Übernutzung unter Stress. Wie können uns digitale Tools bei der Pflege dieser wichtigen Räume helfen?
Anett Kuntosch: Zunächst einmal haben wir das Thema Stadtgrün hier mit einbezogen, da einige Technologien, die in der Landwirtschaft genutzt werden, prinzipiell auch für das Stadtgrün eingesetzt werden können. Ich glaube, die Digitalisierung ist gerade für diesen Bereich sehr interessant. Wir sprechen so viel über die Relevanz von Stadtgrün, nutzen aber bisher kaum Technologie, um zu überprüfen, ob Ziele erreicht werden. Welche Maßnahme hat eigentlich welche Wirkung und wie kann man diese gewünschte Wirkung vielleicht noch verstärken? Wenn man an die Dringlichkeit des Themas denkt, wäre es durchaus sinnvoll, technologische Möglichkeiten gewinnbringend einzusetzen. Besonders spannend fände ich es, digitale Methoden für ein strukturiertes Monitoring von Grünflächen einzusetzen. Hier kommen sicherlich zunächst Forschungsprojekte in Frage, um die Zusammenhänge, konkrete Anwendungsfelder sowie mögliche technologische Lösungen zu identifizieren. Nur wenn wir über das allgemeine Bewusstsein hinaus belastbares Wissen generieren, können wir wirksame Strategien entwickeln, die uns helfen, die gesteckten Ziele auch zu erreichen. Ich freue mich daher, dass wir mit unserer Plattform Gieß den Kiez und dem Forschungsprojekt QTrees zum Erhalt der Straßenbäume in dem Bereich bereits erste Aktivitäten in die Richtung angestoßen haben.
Download der Studie