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Medizintechnik für die Smart City Berlin

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  • Rubrik Kommentar
  • Veröffentlichungsdatum 31.03.2017
Dr. Christian Hammel

Smart City ist, wenn Innovation in der Stadt ankommt. Feuerwehr und Unfallkrankenhaus haben ein zweites Schlaganfall-Rettungsfahrzeug in Betrieb genommen. Weitere sind in Beschaffung. Warum das lange gedauert hat, warum es trotzdem ein toller Erfolg ist und was man daraus für die Smart City lernen kann.

Einst hatte die Technologiestiftung das erste Schlaganfall-Rettungsfahrzeug (STEMO, Stroke Einsatz-Mobil) aus dem Zukunftsfonds Berlin gefördert. Jetzt, am 8. März, ist am Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) das Zweite in Betrieb gegangen. UKB und die Berliner Feuerwehr haben das ausführlich gemeldet. Auch die Abendschau hat (@ 0:58) berichtet.

Wir freuen uns, dass eine weltweit einzigartige Innovation aus Berlin aus der Forschung im Echtbetrieb erprobt wird und damit in der Berliner Rettungsdienstlandschaft angekommen ist. Die Beschaffung weiterer STEMO-Fahrzeuge steht im Landeshaushalt. In den kommenden Jahren werden die STEMO-Fahrzeuge dazu beitragen, dass sich die Zeit bis zur Behandlung für Betroffene massiv verkürzt. Den Nutzen, knapp gesagt „time is brain“,  haben die Entwickler hier erklärt und im renommierten Journal oft he American Medical Association publiziert. Fans von Feuerwehrautos finden die Fahrzeugbeschreibung bei der Berliner Feuerwehr. Wer ein Stemo kaufen möchte, kann es bei der MEYTEC GmbH bestellen.

Chronologie

Die Chronologie zeigt, dass einige Zeit nötig ist, bis bahnbrechende Entwicklungen im öffentlichen Einsatz ankommen:

bis 2007: In Berlin wird gezeigt, dass die telemedizinische Vernetzung eines Rettungsfahrzeugs (hinterlegen: http://www.strokenet.de/ ) mit einer Stroke unit die Zeit bis zur richtigen Behandlung verkürzt.

2008: Die STEMO-Erfinder, Charité, Feuerwehr, MEYTEC und Thermo Fisher entwickeln die Vision, noch mehr Zeit bis zur Behandlung einzusparen, indem sie die Diagnostik des Schlaganfalltyps und wenn möglich die Lysebehandlung bereits in einem Fahrzeug durchführen, dem telemedizinisch eine Stroke Unit und eine Radiologie zugeschaltet sind.

2009:  Förderantrag bei der Technologiestiftung.

Anfang 2011: Das erste STEMO ist fertig entwickelt und technisch funktionsfähig.

2011 bis 2013:  Das STEMO erscheint als Spielzeugmodell. Der echte Prototyp ist an der Feuerwache Wilmersdorf stationiert. Über 200 Lysetherapien zeigen, dass mit dem STEMO mehr Patienten Zugang zu einer solchen Therapie erhalten als bei der Rettung mit konventionellen Fahrzeugen.

2012 bis 2014 Die Entwickler werben Fördermittel der Europäischen Union und des Landes Berlin ein und finanzieren damit die Verlängerung des Forschungsbetriebes. Fallzahlen von über 7.000 Patienten belegen den Patientennutzen gesichert.

Ab 2015 Das STEMO in Wilmersdorf wird nicht mehr aus Forschungsmitteln gefördert und befindet sich somit in einem echten Probebetrieb.

Ab 2017 Das zweite und zwischenzeitlich weiterentwickelte STEMO wird am UKB zur Wirtschafts- und Gesundheitsförderung der Region in Betrieb genommen. Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf hat mit Unterstützung des UKB entsprechende Fördermittel akquiriert. Eine Kooperation zwischen der Berliner Feuerwehr und dem UKB ermöglicht, dass das Fahrzeug in den Rettungsdienst integriert und über die 112 alarmiert wird. So kann weiterhin im Bereich der Schlaganfallbehandlung geforscht und gleichzeitig den Menschen geholfen werden. Weitere 3 STEMOS stehen im Landeshaushalt und werden beschafft.

Warum hat das so lange gedauert?

Zwei technische Voraussetzungen, nämlich ein Computertomograf, der in ein Fahrzeug passt, und mobile Datennetze, die CT-Bilder in eine Klinik übertragen können, waren 2008 verfügbar. Anfang 2011 war auch das Fahrzeug verfügbar. Dass trotzdem fast 10 Jahre von der Vision zum Betrieb über ein einziges Fahrzeug hinaus vergangen sind, hat einige Gründe:

  • Die Finanzierung: öffentliche Einrichtungen wie die Feuerwehr oder die Charité haben kaum Budgets für Forschung und Entwicklung zur Verbesserung der eigenen Leistung, schon gar nicht in diesem Maßstab. Es müssen Fördergelder für die Entwicklung und für den Probebetrieb beantragt werden. Nach der Forschungsphase müssen Mittel vom Land zur Verfügung gestellt werden. Über die Laufzeit waren also viele Mittelgeber zu überzeugen und deren Regularien unter einen Hut zu bringen.
  • Ein Probebetrieb braucht viele Mitstreiter: In Berlin ist die Feuerwehr für den Rettungsdienst zuständig. Klingt einfach? Von wegen! Für den Probebetrieb müssen wesentlich mehr Parteien an den Tisch: Der Innensenator als Dienstherr muss zustimmen - obwohl im Erfolgsfalle sehr teure Fahrzeuge anzuschaffen sind. Mehr oder weniger alle Kliniken mit Stroke Unit müssen sich beteiligen - obwohl sie möglicherweise Angst haben, dass andere ihnen die Patienten wegnehmen. Die Krankenkassen müssen mitmachen. Die Kooperationspartner selbst müssen umfangreich Personal fortbilden und Abläufe ändern - obwohl das für große Organisationen kompliziert ist: Damit jemand im Fahrzeug röntgen darf, mussten die MRTA zu Rettungssanitätern fortgebildet werden. Der Neurologe im Fahrzeug darf keine CT-Bilder befunden, also müssen die Radiologen online bereit stehen. Schließlich muss die Leitstelle der Feuerwehr den Anrufern exakt die richtigen Fragen stellen, damit sie einen Schlaganfallverdacht erkennt und das STEMO auch zu den richtigen Einsätzen schickt. Dazu waren auch noch Ethikkommissionen, Datenschutzexperten, Strahlenschützer, Arbeitssicherheitsexperten, Statistiker, der TÜV und viele andere zu Rate zu ziehen.
Wer alle diese Beteiligten überzeugen und koordinieren muss, braucht nicht nur eine sehr unternehmerische Persönlichkeit, die ihre Vision in der Umsetzung sehen will, sondern muss auch erheblich Zeit investieren.
  • Der Nachweis des Nutzens für die Bürger und Bürgerinnen: Es sei daran erinnert, dass das  STEMO eine erhebliche Investition aus öffentlichen Mitteln für eine öffentliche Infrastruktur ist und dass ein STEMO rund zehnmal so viel kostet wie ein normaler Rettungswagen. Wie in Unternehmen auch verlangen die Entscheider über solche öffentlichen Investitionen, dass man ihnen belegt, dass das Produkt den versprochenen Nutzen wirklich hat. Selbst wenn Parlamente und Senatsverwaltungen völlig unkomplizierte Einkäufer wären, dauert der seriöse Nachweis eines versprochenen gesundheitlichen Nutzens sehr lange und ist sehr teuer.

Welche Erfolgsfaktoren und Empfehlungen lassen sich daraus erkennen?

  • Fördermittel nutzen, auch durch Behörden: Ausgesprochen positiv sehe ich hier die Rolle der Berliner Feuerwehr: Die Feuerwehr ist eine Behörde und hat keine Forschungsetats. Sie hat sich in die Lage versetzt, bei öffentlichen Fördergebern aus Bund, Land und EU antragsfähig zu sein und so die Mittel Dritter zur Verbesserung der eigenen Leistung zu nutzen. Das ist nicht typisch für eine Behörde und kann ausdrücklich zur Nachahmung empfohlen werden.
  • (Eigen-) Entwicklung in Kooperation: Kliniker und Hightech-Firmen sind FuE-Kooperation gewohnt. Öffentliche Dienstleister betreiben Innovation oft eher in der Beschaffung. Dass eine Behörde bis tief in die Gestaltung ihrer Abläufe hinein mit Dritten zusammenarbeitet und aktiv Forschung und Entwicklung betreibt, ist leider nicht selbstverständlich. Die Erfinder infrastrukturnaher Produkte oder Leistungen versetzt das in die Lage, den tatsächlichen Nutzen ihrer Produkte in der realen Anwendung zu zeigen. Die Behörde mutiert dadurch auch keineswegs zu einer Art Wirtschaftsfördergesellschaft. Im Ergebnis steht vielmehr ein Produkt, das von Anfang an zu den Zielen und Abläufen der Behörde passt und vor Fehlinvestitionen schützt. Wer mehr Berliner Erfindungen in der Anwendung in Berlin sehen möchte, sollte also von den öffentlichen Leistungserbringern erwarten, dass sie sich stärker für FuE-Kooperationen und für die Erbringung von Nutzennachweisen von Innovationen öffnen.
  • Projekte bis zur Umsetzung denken und Nutzen nachweisen: Eine neue infrastrukturnahe Leistung kommt nicht in der Praxis an, nur weil sie technisch funktioniert. Der Nutzen muss nachgewiesen werden. Deshalb dürfen Projekte nicht mit der technischen Entwicklung enden. Hier wollten die Beteiligten von Anfang an die Anwendung. Deshalb wurden trotz des hohen Aufwandes frühzeitig alle einbezogen, die für eine Erprobung und einen klaren Nachweis des Nutzens erforderlich waren.
  • Intrapreneure unterstützen: Der beschriebene Koordinationsaufwand zeigt: Wer sich freiwillig der Aufgabe stellt, derart viele Interessensvertreter zu überzeugen und unter einen Hut zu bekommen, dafür wohl erheblichen Aufwand über seine Dienststunden hinaus erbringt und über Jahre hinaus engagiert bleibt, meint es wohl ernst mit der Umsetzungsorientierung. Ohne das persönliche Engagement vieler Beteiligter sind Vorhaben dieses Kalibers leider schneller zerredet als begonnen. Deshalb ist die Unterstützung  solcher Intrapreneure durch ihre Institutionen und deren Leitungen umso wichtiger. Wir hoffen, dass Berlin noch viele solche Intrapreneure gewinnen kann, dann kommt auch die Smart City voran.

Fazit

Respekt an alle Beteiligten für fast 10 Jahre Durchhalten und Vorantreiben. Ein toller Erfolg für Berlin!