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  • Thema Reallabor

„KI kann mehr als Werbung optimieren“

  • Rubrik Interview
  • Veröffentlichungsdatum 24.06.2022
Frauke Nippel

Der Klimawandel ist spürbar. Die erste Hitzewelle des Jahres 2022 gab es bereits Mitte Juni. Die Rolle der Digitalisierung bei dieser Entwicklung ist umstritten: Ist sie Teil des Problems oder Teil der Lösung? Ein Interview mit Marcus Voß von Birds on Mars, mit dem wir und die Straßen- und Grünflächenämter in Mitte und Neukölln im Projekt Quantified Trees (QTrees) an einer Künstlichen Intelligenz arbeiten, die es erleichtern wird, die Straßenbäume in den zunehmenden Trockenperioden effizient und zielgerichtet zu pflegen. Das Projekt wird vom Bundesumweltministerium (BMUV) gefördert.

Bild: Hannes M. Meier

QTrees wird die Pflege der Straßenbäume mit Prognosen zum Wasserbedarf jedes einzelnen Straßenbaums erleichtern. Kannst Du mehr zum Projekt sagen?
 
Marcus Voß: Die Straßen- und Grünflächenämter engagieren sich sehr dafür, die Straßenbäume durch Trockenperioden zu bringen. Denn vor allem für jüngere Bäume, die nicht tief verwurzelt sind, ist es gefährlich, wenn der Regen an der Oberfläche ausbleibt. Die Ämter haben für diese Pflege Standards entwickelt, fahren selbst raus oder beauftragen Dienstleister, zu gießen und den Bäumen über die Trockenperioden zu helfen. Diese Maßnahmen zielen auf eine möglichst flächendeckende Versorgung der Bäume und müssen mit einem gewissen Vorlauf geplant werden, obwohl sich das Wetter nur für wenige Tage gut voraussagen lässt.
 
QTrees kann die Planung der Ämter unterstützen und zielgerichtete Empfehlungen für den Einsatz des zunehmend knapperen Wassers geben. Denn wir können mit den Sensoren und der KI das Geschehen im Boden abbilden, praktisch sehen, was im Boden passiert. Dafür ermitteln wir, wie trocken oder feucht der Boden ist und messen in drei verschiedenen Tiefen mit Sensoren an den Bäumen die Bodensaugspannung, so dass wir wissen, wie sehr sie sich anstrengen, um an Wasser zu kommen. Diese Saugspannung ist unabhängig von der Bodenart und sagt uns etwas über den Bedarf der Bäume.
 
Für dieses Monitoring wurden repräsentative Bäume ausgewählt und mit Sensoren ausgerüstet. Die Daten, die wir ermitteln, rechnen wir dann für alle Bäume hoch und verrechnen sie mit zum Standort gehörenden Geo- und Wetterdaten.
 
 
Aber wie kommt Ihr an diese Standortdaten?
 
Marcus Voß: Wir können die Informationen, die wir brauchen, weitestgehend aus bereits vorhandenen Daten zusammenführen. Es ist durchaus beeindruckend, wie viele Daten in Berlin offen liegen. Ein Blick ins Open Data-Portal lohnt sich immer.
 
Ein gutes Beispiel - und für QTrees sehr wichtig - ist die Information zu Sonneneinstrahlung und Schatten an den Baumstandorten, die wir aus offenen Daten errechnen können. Es gibt nämlich offene Modelle von Berlin, die Breite und Höhe der Gebäude enthalten, und den Lauf der Sonne am Horizont im Laufe des Jahres kennen wir auch. So ist es möglich, genau zu ermitteln, wann wo wie lange ein Ort der Sonne ausgesetzt ist oder im Schatten liegt. Es gibt ja auch schon die Erfrischungskarte des CityLAB, die genau solche Daten verarbeitet hat. Wir kombinieren diese mit den Wetterdaten, Daten zur Bewässerung und den Saugspannungsmessungen an repräsentativen Bäumen und kommen zu unseren Prognosen.
 
Perspektivisch könnte man auch weitere Daten wie beispielsweise die zum Grundwasserstand integrieren. Denn das Geschehen in der Natur ist natürlich komplexer als wir es mit unseren Algorithmen abbilden können. Wir werden den QTrees-Code offenlegen und dazu einladen, die KI weiterzuentwickeln. So können auch andere das Tool nutzen und es mit weiterentwickeln.
 


Bei QTrees wird die KI also für ein Tool genutzt, um die Auswirkungen des Klimawandels möglichst gering zu halten. Erwartest Du, dass KI insgesamt diese Problemlösungsrolle beim Klimawandel übernehmen kann?
 
Marcus Voß: Ich freue mich, wenn wir mit Projekten wie QTrees zeigen, dass KI viel mehr kann als Werbung und Marketing optimieren. KI sollte in Gesamtlösungsstrategien für den Klimawandel mitgedacht werden, zum Beispiel bei unserer Wärmeversorgung. Natürlich stehen bauliche Maßnahmen wie das Dämmen im Vordergrund. Aber als Teil der Lösung kann der Einsatz von KI sinnvoll sein und spürbare Effekte bringen.
 
Leider kommt das, was Forschung und Entwicklung entwickeln, noch nicht immer in der Praxis an. Und es gibt auch noch zu viele Forscher:innen, die erst den Code haben und dann überlegen, welches Problem man damit lösen könnte. Das ist schade. Bei Birds on Mars spüren wir aber, dass das Interesse an möglichen Anwendungen der KI zur Erhöhung der Nachhaltigkeit und im Klimaschutz auch in der Industrie zunimmt, und wir zunehmend Projekte mit unseren Kund:innen identifizieren und umsetzen können.
 
Projekte wie QTrees zeigen, was möglich ist. Ich selbst bin Mitglied bei der global aktiven Initiative Climate Change AI, die sich für den wirkungsvollen Einsatz von KI im Klimaschutz engagiert. Interessierten empfehle ich die Website als Einstieg ins Thema und lade zur Mitwirkung an den diversen angebotenen Formaten ein.

 

 

QTrees

Eine Allee mit herbstlichen Bäumen, durch die eine Straße führt.

Quantified Trees: Intelligente Bewässerungsvorhersage für Stadtbäume. Gefördert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.