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Interview mit der Botschafterin der Republik Lettland Alda Vanaga

Der Förderverein Technologiestiftung Berlin e.V. lud im Öffentlichen Teil seiner diesjährigen Mitgliederversammlung zum Erfahrungsaustausch mit einem Land ein, das bereits seit Jahren eine offene Digitalisierungsstrategie hat und beeindruckende Erfolge aufweisen kann: Lettland. Mit einer konsequenten Open-Data- und Open-Source-Strategie hat der baltische Nachbar viel erreicht. Was können wir in Berlin und in Deutschland davon lernen? Wir haben mit der außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafterin der Republik Lettland in der Bundesrepublik Deutschland, Alda Vanaga, gesprochen.

Portrait Alda Vanaga

Lettland hat die Chancen der Digitalisierung entschieden angenommen und viel in die digitale Infrastruktur investiert. Was können wir von Lettland im Bereich der Digitalisierung lernen?

Alda Vanaga: Mir ist es ganz wichtig zu betonen, dass man beide Länder, Deutschland und Lettland, nicht direkt miteinander vergleichen kann. Die baltischen Staaten sind viel kleiner als Deutschland und haben zudem eine andere Historie. In den 90er Jahren mussten wir nach der Wiedererlangung unserer Unabhängigkeit die Behörden und Ministerien wiederaufbauen. Damals strömten vor allem junge Menschen in die Verwaltung. Ich selbst kam beispielsweise mit 21 in den diplomatischen Dienst. Neues zu lernen, das fällt jungen Menschen häufig leichter. Wichtig war aber auch unsere Mentalität: Wir wollten damals bewusst nicht auf alte Strukturen aufbauen. Und dann hatten wir auch ein bisschen Glück: Viele Prozesse sind schnell und gut angelaufen. Durch das Internetbanking, das früh eingeführt wurde, hat sich die breite Bevölkerung schnell an die Digitalisierung gewöhnt. Sie konnte sozusagen mit der Digitalisierung wachsen.

Haben wir diesen Moment in Deutschland verpasst?

Alda Vanaga: Ich glaube nicht, dass Deutschland diesen Moment verpasst hat. Jeder Moment zum Neudenken und Loslegen ist gut – wenn man die richtigen Weichen stellt. Großes Potenzial sehe ich hier bei den jungen Menschen: Sie nutzen viele digitale Formate und Leistungen. Je mehr Menschen diese Leistungen nutzen, je häufiger sie einen besseren Standard einfordern, desto mehr Druck entsteht bei der Verwaltung und beim Staat, diese Leistungen weiterzuentwickeln. Um noch mehr Menschen anzustecken, müssen wir die aber auch Vorteile der Digitalisierung konkret aufzeigen.

Das Wichtigste ist in der Tat, dass Bürgerinnen und Bürger die Vorteile der Digitalisierung erleben, indem sie konkret Zeit, Ressourcen oder Geld sparen. Dazu gehört aus meiner Sicht ganz selbstverständlich, dass man als Bürgerin oder Bürger nicht mehr persönlich in seiner Behörde erscheinen muss, sondern alle Leistungen digital abrufbar sind.

Alda Vanaga, außerordentliche und bevollmächtigte Botschafterin der Republik Lettland in der Bundesrepublik Deutschland

Die Vorteile der Digitalisierung den Bürger:innen aufzeigen – aus Ihrer Sicht ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor für eine gelungene Digitalisierung. Worin unterscheidet sich Lettland hier von Deutschland?

Alda Vanaga: Das Wichtigste ist in der Tat, dass Bürgerinnen und Bürger die Vorteile der Digitalisierung erleben, indem sie konkret Zeit, Ressourcen oder Geld sparen. Dazu gehört aus meiner Sicht ganz selbstverständlich, dass man als Bürgerin oder Bürger nicht mehr persönlich in seiner Behörde erscheinen muss, sondern alle Leistungen digital abrufbar sind. In Lettland ist unsere erste Anlaufstelle immer die Webseite, die uns über den ganzen Prozess begleitet. Dabei ist auch die Autorisierung, die für einzelne Leistungen notwendig ist, ganz unkompliziert. Das ging von Anfang an mittels E-Banking, mittlerweile gibt es zahlreiche Möglichkeiten, beispielsweise auch die elektronische Unterschrift, um Leistungen zu beantragen. Auch ich als lettische Botschafterin profitiere davon im Alltag: Egal ob es um die Steuererklärung oder die Kfz-Zulassung geht – nach Lettland muss ich dafür nicht mehr fahren. Und für alle, die (noch) nicht fit im Umgang mit dem Internet oder digitalen Formate sind, haben wir Stützpunkte eingerichtet.

Ein weiteres tolles Beispiel für die Nutzerzentriertheit bei uns: Wenn ich einer lettischen Behörde meine Daten gebe und der Weitergabe zustimme, steht sie in der Pflicht, diese mit anderen Behörden zu teilen. So muss ich meine Daten im Idealfall nie wieder neu eingeben. Gleichzeitig ist es auch enorm wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass ihre Daten sicher sind. Meiner Ansicht nach ist die Sicherheit der Daten eine unentbehrliche Voraussetzung der erfolgreichen Digitalisierung. Angesichts regelmäßiger Cyberangriffe werden die in Lettland angebotenen digitalen Lösungen mit höchsten Sicherheitsstandards entwickelt. Es gibt immer Risiken, aber wir haben es geschafft, bei den lettischen Bürgerinnen und Bürgern das Vertrauen aufzubauen, dass die Vorteile der Digitalisierung weit über den möglichen Risiken liegen.

Wenn ich einer lettischen Behörde meine Daten gebe und der Weitergabe zustimme, steht sie in der Pflicht, diese mit anderen Behörden zu teilen. So muss ich meine Daten im Idealfall nie wieder neu eingeben.

Alda Vanaga, außerordentliche und bevollmächtigte Botschafterin der Republik Lettland in der Bundesrepublik Deutschland

Sie erwähnen es gerade: Bei der Digitalisierung setzt Lettland auf den offenen Austausch von Daten – in der Wirtschaft genauso wie in der Verwaltung und der Stadtgesellschaft. Welche Vorteile hat diese klare Entscheidung für eine Open-Data-Strategie aus Ihrer Sicht?

Alda Vanaga: Seit 1998 gibt es in Lettland ein Informationsfreiheitsgesetz. Es besagt, dass vom Staat erhobene oder produzierte Daten, die nicht personenbezogen sind oder die nationale Sicherheit betreffen, offen sein müssen. Wenn eine staatliche Behörde Daten nicht veröffentlichen möchte, ist sie also in der Pflicht zu begründen, warum. So können Daten auch zur Verbesserung von Dienstleistungen und der allgemeinen Lebensqualität genutzt werden. Deshalb ist es wichtig, Daten zu standardisieren, womit wir uns gerade beschäftigen. Von Unternehmerinnen und Unternehmen bekommen wir wertvolles Feedback, wie die Daten bequemer eingegeben, gespeichert und weitergegeben werden können. Zudem möchte ich noch einen wichtigen Punkt hervorheben: Da die Behörden von Steuergeldern finanziert werden, hat jeder Steuernzahlende ein Recht darauf zu erfahren, wo und wie jeder Euro eingesetzt wird. Das Informationsfreiheitsgesetz sieht vor, dass jede:r in der Lage ist zu wissen, wo und wie öffentliche Mittel genutzt werden, um Transparenz und Rechenschaftspflicht des öffentlichen Sektors zu fördern. Natürlich spielen auch die Medien eine wichtige Rolle. Sie gewährleisten eine effiziente Verwendung öffentlicher Mittel, regelmäßige Kontrollen und die Möglichkeit für unsere Unternehmen, die neuesten Daten für die Entwicklung wettbewerbsfähiger Dienstleistungen und Produkte zu nutzen.

Was können wir aus Ihrer Sicht für Berlin aus Ihren Erfahrungen lernen?

Alda Vanaga: Ich bin fest davon überzeugt, dass das Rad nicht neu erfunden werden muss. Wir erinnern uns gut an die Unterstützung Deutschlands bei der wirtschaftlichen Transformation Lettlands in den 90-en Jahren. Nun ist Lettland bereit, sein Wissen und seine Erfahrung mit Deutschland zu teilen und damit zur Entwicklung auf dem Gebiet der Digitalisierung beizutragen. Das bedeutet vor allem, die richtigen Leute auf beiden Seiten zusammenzubringen. Nur durch gute Gespräche und gelungene Zusammenarbeit können wir sehen, welche Erfahrungen sich auf Berlin und Deutschland übertragen lassen. Meine Botschaft plant für das nächste Jahr einen Austausch der deutschen und lettischen Partnerstädte zum Thema Digitalisierung – wir würden uns freuen, dort viel Interessierte begrüßen zu dürfen.

Vielen Dank für das Interview!