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„Aus meiner Sicht sollte der Gedanke der Openness Richtwert für die Arbeit von Bibliotheken sein“

Welches Buch wurde am häufigsten gelesen? Wo erreicht das Angebot der Bibliotheken besonders viele Menschen? Diese und viele weitere Fragen kann die Stadtbibliothek Pankow nun ab sofort datenbasiert beantworten. Gemeinsam mit der Open Data Informationsstelle, ein Projekt der Technologiestiftung Berlin, wurde nicht nur ihre gesamte Nutzungsstatistik offen gelegt. Alle Daten sind nun in einem anschaulichen Dashboard aufbereitet, das spannende Zusammenhänge offen legt. Hintergründe zum Projekt und die Herausforderungen von Bibliotheken im Rahmen der digitalen Transformation beschreibt Projektbeteiligter und Leiter der Janusz-Korczak-Bibliothek Tobias Weiß in unserem Interview.

Blick auf ein Bücherregal in einer Bibliothek. Darauf ein Cursor.

Wie ist das Projekt mit der Open Data Informationsstelle zustande gekommen?

Tobias Weiß: Uns bewegt schon länger die Idee unsere Daten offen zur Verfügung zu stellen. Aber Motivation allein reicht nicht: Wie so oft fehlte lange Fachkenntnis und Zeit, um das Ganze als eigenständiges Projekt anzugehen. Als dann der Kontakt zur Technologiestiftung und den Kolleg:innen der ODIS entstand, ging es mit dem Projekt in unglaublicher Geschwindigkeit vorwärts. Früh war klar, dass wir auch den Open-Data-Beauftragten des Bezirksamts Pankow mit ins Boot holen wollen. Als wir dann das erste Mal als große Gruppe zusammenkamen, wurde allen Beteiligten schnell klar, dass die Daten über die wir sprechen ziemlich spannend sind. Das zeigt ja auch das Ergebnis.

Und woher kam der Impuls bei Ihnen mit offenen Daten zu arbeiten?

Tobias Weiß: Man will sich ja selbst nicht hervorheben, aber tatsächlich war ich derjenige, der das Thema lange vor sich hergetragen hat. Aus meiner Sicht sollte der Gedanke der Openness nämlich Richtwert für die Arbeit von Bibliotheken sein. Dabei ist das, was wir jetzt gemacht haben – nämlich die Nutzungsstatistik offen zu legen – nur ein ganz kleiner Teil des Gesamtbildes. Ich will das Projekt gar nicht klein reden: Dieser Datensatz und das entwickelte Dashboard sind ein unglaublich wichtiger Schritt für uns. Aber wenn wir den Grundgedanken von Openness und Bibliotheken konsequent denken, dann kommen wir auch um eine Strategie zu freien Bildungsressourcen und Citizen Science nicht herum. Die SLUB, die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden, zeigt im Projekt Datenlaube sehr gut, wie man offene Kulturdaten, gewonnen durch das Transkribieren vieler Freiwilliger, und der Verknüpfung mit Wikimedia-Angeboten wie Wiki Source und Wiki Data zugänglicher machen kann. Aber auch das Wissen von Bibliotheken, beispielsweise interne Konzepte zu Veranstaltungen oder Bildungsformaten, sollten konsequent als OER (Open Educational Ressources) bereitgestellt werden.

Wie kann das gelingen? Inwiefern muss sich das Rollenprofil von Bibliotheken dafür ändern?

Tobias Weiß: Dass wir bei diesem Thema aktuell nur langsam vorankommen, hat vielfältige Gründe. In unserem Ökosystem hier in Pankow haben wir mit dem Beginn der Corona-Pandemie dezidiert an unseren Strukturen und Rollenbildern gearbeitet. Das ist aber natürlich längst nicht überall so. Gleichzeitig halte ich es für unabdingbar, dass Bibliotheken zunehmend neuen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Was ist denn aus Sicht der Bibliotheken Nutzen und Risiko von ChatGPT? Was würden wir Bildungseinrichtungen, die hier gerade massiv unter Druck stehen, raten? Diese Strukturen können wir nur aufbauen, wenn wir die vielen guten Ansätze, die sich aus Pilotprojekten bei uns ergeben, verstetigen und Teil des Alltagsgeschäfts werden lassen. Und das wiederum ist sehr oft abhängig von dem Engagement einzelner Personen.

Sie sind so eine Einzelperson – und werden das entwickelte Dashboard selbst pflegen und ggf. weiterentwickeln. Was genau planen Sie?

Tobias Weiß: Ich habe zwar eine klassische Ausbildung im Bibliotheksbereich gemacht, bin aber über Umwege später in der IT gelandet. Insofern bringe ich eine gewisse technische Affinität mit, was sicherlich hilft. Fest steht, dass wir diese Daten nun jährlich veröffentlichen. Meine Vermutung ist, dass wir in diesem Jahr an einzelnen Stellen im Bereich Datenschutz übervorsichtig waren. Das werden wir prüfen – im Idealfall werden die Daten durch solche Erweiterungen nochmal interessanter. Zudem ist auch ein internes Dashboard für unsere Bibliotheken mit individuellen Darstellungen und Auswertungen zum Ausleihverhalten über das Jahr verteilt, auch in Richtung der Dienstpläne, im Gespräch. Das wäre allerdings in der Erstellung deutlich aufwändiger. Mit den Kolleg:innen von der ODIS erwägen wir zudem die Nutzung von Linked Open Data, um auffällige Datenpunkte aus den Bibliotheken besser interpretieren zu können.

Und wie wird das Projekt von Ihren Kolleg:innen wahrgenommen?

Tobias Weiß: Durch das Dashboard bekommen wir einen ganz neuen Blick auf unsere Arbeit. Ich habe aus den Büros regelrechte Jubelschreie vernommen, als wir den Link zur ersten Version des Dashboards zirkuliert haben. Für viele ist allein die Kartenansicht, der Blick auf die Daten verknüpft mit einer räumlichen Verortung, Gold wert. Die Daten bieten auch die Möglichkeit Informationen neu zu verknüpfen. Zum Beispiel: Wo sind Schulen und Kitas – heben wir ihr Besucher:innen-Potenzial? Erreichen wir sozial schwache Zielgruppen oder Geflüchtete im Kiez ausreichend? Wo braucht es auch von Seiten der Politik mehr Unterstützung?

Auf welche Herausforderungen sind Sie mit dem Projektpartner bei der Entwicklung des Projektes gestoßen, wie konnten Sie diese lösen?

Tobias Weiß: Zuallererst und das möchte ich hervorheben: Das Projekt ist unglaublich glatt gelaufen. Bibliotheken und die Technologiestiftung können gut zusammenarbeiten, das ist wohl die beste Werbung (lacht). Größere Herausforderungen gab es keine, kleinere sehr wohl. Wir brauchten unter anderem die Zuarbeit vom Verbund Servicezentrum, unseren verbundübergreifenden Admins, die die Datenbank pflegen. Hier ging es vor allem darum, interne, codierte Informationen zu übersetzen oder bestimmte Informationen miteinander zu verknüpfen. Wichtigstes To Do: Zukünftig unbedingt einen festen Prozess definieren, um bei dieser Zusammenarbeit nicht jedes Jahr das Rad neu zu erfinden.

Wie skalierbar ist das Projekt bzw. wie gut lässt es sich aus Ihrer Sicht auf andere Bibliotheken übertragen?

Tobias Weiß: Übertragbar ist es zu 100% ­– zumindest in Berlin, wo wir alle die gleiche Datenstruktur haben. Zumal sich der Aufwand bei Übernahme ja in Grenzen hält. Organisatorisch wie regulatorisch: Unser zuständiger Datenschutzbeauftragter in Pankow hat das Projekt abgenommen, dieser Empfehlung folgen in der Regel auch die anderen Datenschutzbeauftragten der Bezirke. Eine formale Hürde, die häufig als Erstes ins Feld geführt wird, wäre damit genommen. Wie groß das Hemmnis der Bibliotheken ist, sich mit der Veröffentlichung solcher Daten in die eigene Arbeit schauen zu lassen, kann ich allerdings nicht beurteilen.

Ich persönlich hoffe sehr, dass sich andere Bibliotheken anschließen werden. Zum einen, weil ich die Notwendigkeit sehe, diese Daten zu veröffentlichen – schlicht, weil sie nutzer:innengeneriert sind, da geht es ums Prinzip. Zum anderen bin ich wieder an dem Punkt, den ich vorhin schon angeführt habe: Schöne Projekte und der Aufwand dahinter sind wenig wert, wenn andere nicht nachfolgen. Ich werde mich jedenfalls dafür stark machen. Auch über die Grenzen von Berlin hinaus. Dieses tolle Dashboard ist die beste Werbung dafür, was man als Bibliothek erreichen kann, wenn man seine Daten nutzt.

Hintergründe zum Projekt

Als erste Berliner Bibliothek stellt die Stadtbibliothek Pankow ihre Ausleihstatistik als Open Data Dashboard bereit. Umgesetzt wurde das Projekt von der Stadtbibliothek Pankow und unserer Open Data Informationsstelle. Hier geht es zum Dashboard

Link zur Stadtbibliothek Pankow: www.berlin.de/stadtbibliothek-pankow/

Link zum Projekt ODIS: www.odis-berlin.de

ODIS

Die Open Data Informationsstelle Berlin (ODIS) begleitet die Stadt auf dem Weg zu einer partizipativen, nachhaltigen und datengetriebenen Gesellschaft mit dem Schwerpunkt auf die Bereitstellung und Nutzung offener Daten.


Zielgruppe

Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft