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  • Thema Neue Technologien

100 Jahre Radio

  • Veröffentlichungsdatum 08.01.2021
Annette Kleffel

Zum Geburtstag des Rundfunks sprachen beim 111. Treffpunkt WissensWerte Experten im kleinen Sendesaal im Haus des Rundfunks über gestern, heute und morgen des Radios. Ein Blogbeitrag von Thomas Prinzler.

„Hier ist Königs Wusterhausen auf Welle 2700.“ Mit diesem Satz begann am 22. Dezember 1920 die Geschichte des Rundfunks in Deutschland. Es folgte ein Weihnachtskonzert von Mitarbeitern der Deutschen Reichspost der Sendeanlage auf dem Funkerberg in Königs Wusterhausen. Stimmen und Musik klangen verrauscht und knarzig, prasselten in den Lautsprechern der wenigen Hörer*innen. Das lag an der damals verwendeten Technologie.

„Es wurde ein Lichtbogen Sender verwendet, um ein Programm zu übertragen, und der hat schon eine sehr eigene Klangcharakteristik“, sagt Rainer Suckow, Vorsitzender des Fördervereins »Sender Königs Wusterhausen« e. V., der das Museum auf dem Funkerberg betreibt. „Dieses Prasseln, das ist die Bewegung des Lichtbogens selber auf den Elektronen.“ Damals gab es eben all das nicht, was heute für den guten Ton im Radio sorgt. Als Mikrofone wurden Telefonkapseln verwendet. Radio vor 100 Jahren klingt in heutigen Ohren wie aus einer anderen Welt. „Es sind Quantensprünge in den letzten 100 Jahren vonstattengegangen, nicht nur auf der Seite der Produktionstechnik, sondern auch auf Seiten der Empfangstechnik“, stellt Steffen Meyer-Tippach fest. Er ist an der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) Referent für Digitale Projekte und dort auch der Mann fürs Radio. Eigentlich könne man sich jetzt „in der Bundesrepublik Deutschland von jedem Ort der Welt über Mobilfunknetze, über stationäre DSL-Anschlüsse oder WLAN-Anschlüsse seinen Audioinhalt selbst zusammensuchen.“ Und eigentlich könnte doch auch heute jedermann sein eigenes Radioprogramm im Internet veranstalten, technisch ist das kein großes Problem. Und juristisch? „Wir sind natürlich auch für Telemedienanbieter zuständig“, betont mabb-Vertreter Meyer-Tippach, „und Telemedienanbieter sind Online-Angebote, die redaktionell gestaltet sind, nach einem Sendeplan verfahren und per im Impressum ihren Sitz in Berlin oder in Brandenburg haben.“ Offiziell und eigentlich gehört dazu auch der regelmäßige Podcast der Bundeskanzlerin. Die habe dafür zwar keine Zulassung, „aber wir sind im ständigen Austausch.“

In den Verantwortungsbereich der mabb fällt auch der Sender Königs Wusterhausen, den der Förderverein betreibt. Suckow, der Rundfunktontechniker auf dem Funkerberg lernte, und seine Mitstreiter*innen haben die Station in den 1990er Jahren wieder zum Leben erweckt – regelmäßig gibt es Rundfunksendungen auf Mittel- und Kurzwelle vom Funkerberg. Dazu brauche man technisch gesehen einen Sender, eine Antenne, Stromversorgung und natürlich ein Programm, so Suckow. „Und das alles machen wir mit unserem museumseigenen Sender Welle 370. Einmal im Monat senden wir vom Funkerberg mit 9,9 Watt Leistung…das ist vom Klang her wie vor 100 Jahren.“ Die Reichweite des Senders sind rund 10 Kilometer. Und dass Suckow und die anderen Freiwilligen vom Verein das dürfen, hängt von der Genehmigungslizenz der Landesmedienanstalt ab. Das gehöre zu ihrer Gründungs-DNA, sagt Meyer-Tippach. 14 Landesrundfunkanstalten seien in Deutschland für den privaten Rundfunk zuständig. Und wer „auf terrestrisch empfangbaren Frequenzen etwas veranstalten möchte, egal ob es rund um die Uhr oder auch nur einmal im Monat ist, der benötigt eine Zulassung. Das ist so eine Art Führerschein.“

Die Wurzeln des Rundfunks liegen in vielen Ländern. Zu den Heroen der Anfänge des Rundfunks gehören der Amerikaner Nikola Tesla, der Italiener Guglielmo Marconi und Alexander Popow aus Russland, die alle um die Jahrhundertwende mit Übertragungen von Wort und Musik experimentierten – alle auf der Grundlage der Entdeckung der elektromagnetischen Wellen 1886 durch Heinrich Hertz. Die Entwicklung des Rundfunks war insbesondere in den USA rasant – da gab es die erste Radiosendung 1906 – auch als Weihnachtskonzert von Reginald Fassenden.

In Deutschland startete das erste reguläre Programm 1923. Radio gab es über Jahrzehnte auf Lang-, Mittel- und Kurzwelle, später dann Ultrakurzwelle, kurz UKW. Das waren jeweils auch Qualitätssprünge. Der heutige technische Standard ist UKW und zunehmend DAB, Digital Audio Broadcasting, die digitale, verlustfreie Programmübertragung. Dennoch sei UKW kein Auslaufmodell, meint Meyer-Tippach, in Berlin gäbe es 31 terrestrisch empfangbare Radioprogramme, so viele, wie sonst nirgendwo in Deutschland. Und laut dem mabb Digitalisierungsbericht Audio für Berlin und Brandenburg vom August 2020 ist bei über 90% der Hörer*innen immer noch analog und UKW angesagt. Das sei auch für einen Katastrophenfall zur Information der Bevölkerung wichtig. „Man kann ja sagen die Corona-Pandemie ist so etwas wie ein Katastrophenfall“, so Meyer-Tippach, „dann ist, wenn sie auf UKW-Radio setzen, das nicht die falsche Adresse, weil in neun von zehn Haushalten in Berlin stehen nach wie vor ein oder mehr UKW Empfangsgeräte. Das ist eine Hausnummer, die sie auch auf Deutschland skalieren können.“
Dagegen ist die Verbreitung von DAB+ Geräten mit digital-terrestrischem Empfang in Berlin-Brandenburg mit 18,5 % im Vergleich zu ganz Deutschland eher unterdurchschnittlich. Allerdings nehme die Zahl derjenigen zu, die Hörfunk-Audiodienste online nutzen, so das Ergebnis des mabb Online-Audio-Monitors. „Wir haben 3,7 Millionen Nutzerinnen und Nutzer in Berlin und Brandenburg, die regelmäßig online Audioangebote nutzen. Und das sind nicht nur die Jungen … mittlerweile nutzen alle Bevölkerungsschichten online Audioangebote, sei es über Musik-Streamingdienste, sei es Web-Radio oder sei es eben Podcast.“
Eine Welt ohne Radio ist eine taube Welt, lautet ein Spruch, und Radio wird auch zukünftig eine große Rolle spielen, ist nicht nur Rainer Suckow überzeugt, denn terrestrischer Rundfunk bedeute Freiheit. „Wer terrestrischen Rundfunk, also Radio per Antenne hört, da weiß niemand, dass er das hört.“ Und das sei insbesondere in nichtdemokratischen Ländern wichtig.

Und wo und wie wird zukünftig Radio gehört werden? „Da müssen wir eigentlich nur auf die Generation Z gucken. Die hören Radio da, wo sie sind, also aktuell in ihrem mobilen Endgerät“, so Suckow. Und Meyer-Tippach beobachtet auch eine Veränderung bei den privaten Radiostationen. Hatten sie bisher viel in ein gutes Musikformat investiert, übernehmen Musik-Streamingdienste wie Spotify die Musikversorgung der Hörer*innen. Die setzen vielmehr auf Informationen und anspruchvolles Wort. „Vor allem auch die jüngeren Zielgruppen brauchen einen anderen Einschalt-Grund als nur einen guten Musikredakteur. Sie brauchen gute Inhalte. Und wir sehen, dass im Privatrundfunk die Sender, die in den letzten Jahren dazu gewonnen haben, in ihr Wort-Programm investiert haben.“
Rainer Suckow hofft, dass es 2050 „diese Form von Medien noch gibt. Menschen sind interessiert an Neuigkeiten, an Informationen, die sie sonst nirgends woanders bekommen.“ Grundsätzlich stimmt dem Steffen Meyer-Tippach zu. Doch er gießt Wasser in den Wein, wie er es formuliert. Denn in dem Maße, wie Plattformbetreiber*innen Inhalte selbst produzierten, entzögen sie sich der öffentlichen Kontrolle, für die die mabb zuständig sei. „Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Hassrede, Falschinformation und Desinformation gang und gäbe sind. Wir haben einige Anbieter, die ganz bewusst Falschinformationen streuen, über alle möglichen Kanäle und damit das gesellschaftliche Leben beeinflussen.“ Und er befürchtet, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren fortsetzen werde. Und Rainer Suckow ergänzt, dass man im akustischen Bereich das erlebe, was im Bildbereich schon Realität sei. Zunehmend müsse man bewerten, „ob das, was ich höre, derjenige auch gesagt hat, dessen Stimme ich wahrnehme. Also mittlerweile sind ja die Sprachsysteme wirklich so weit, dass ich mit relativ kurzen Originalaufnahmen durch Soundsynthese und Sprachsynthese sehr gut andere Stimmen nachmachen kann.“

Ein großer Aufgabenbereich, um Medienkompetenz bei den Hörer*innen zu entwickeln nicht nur in der Schule. Denn auch das Radio der Zukunft muss als informierend, wahrheitstreu und unterhaltsam wahrgenommen werden können.

Der Treffpunkt WissensWerte 100 Jahre Radio ist auf der Seite von Inforadio (rbb) abrufbar.

Auf dem Podium saßen
Steffen Meyer-Tippach
Digitale Projekte
Projektkoordination Lokaljournalismus Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb)
Rainer Suckow
Vorsitzender Förderverein
Sender- und Funktechnikmuseum Königs Wusterhausen

Moderation
Thomas Prinzler
Wissenschaftsredakteur
Inforadio (rbb)

Der Treffpunkt WissensWerte ist eine gemeinsame Veranstaltung der Technologiestiftung Berlin und Inforadio (rbb).

Forum Wissenswerte

Die Veranstaltungsreihe zu aktuellen Technologiethemen. In Kooperation mit rbb24 Inforadio.