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Strom von Balkonien? Erneuerbare Energie aus Kleinstkraftwerken

  • Rubrik Aus der Stiftung
  • Veröffentlichungsdatum 11.01.2023
Michael Scherer

Wir brauchen Energie. Die Zeiten, in denen unsere Strom- und Gas-Versorgung nur eine Randnotiz war, sind vorbei. Viele Bürger:innen wollen Energie nicht nur bestmöglich einsparen, sondern am liebsten selbst produzieren. Das ist gut fürs Portemonnaie, gut für die Umwelt und verschafft vielen in Krisenzeiten ein gesteigertes Sicherheitsgefühl. Kleine Kraftwerke gibt es inzwischen in zig Sparten. Solaranlagen für den Balkon oder kleine Biosgasreaktoren für die Selbstversorgung – je nach Umfeld bieten die Anlagen unterschiedliche Chancen. Für die Installation und die Entwicklung neuer Produkte müssen jedoch einige Hürden überwunden werden.

Foto von Zbynek Burival auf Unsplash

Balkon wird zur Solaranlage

Stecker-PV, Inselanlage, Balkon-Kraftwerk, Plug-in-Photovoltaik, Guerilla-PV – die Namen sind vielfältig. Dahinter verbergen sich Mini-Solaranlagen. Diese Anlagen haben aus Sicht von Dr. Björn Rau ein großes Potential. Er arbeitet im Helmholtz- Zentrum Berlin. Dort leitet er die Beratungsstelle für bauwerkintegrierte Photovoltaik (BAIP). Außerdem ist er stellvertretender Leiter des Kompetenz-Zentrum Photovoltaik Berlin(PVcomB). „Grundsätzlich ist es eine sehr schöne Möglichkeit, dass jeder Bürger/jede Bürgerin, jede Familie, jeder Haushalt seinen eigenen Solarstrom erzeugen kann. Das ist rechtlich mittlerweile so geregelt, dass man sich bis zu 600 Watt – in der Regel sind es zwei Solarmodule – auf seinem Balkon auf seinem Grundstück oder ähnlichem einfach anbringen kann“, erklärt der Photovoltaik-Experte. 10 bis 12 Prozent des Jahresenergiebedarfs eines Einfamilienhaushalts könnten dadurch gedeckt werden. Die Solaranlagen seien im freien Handel zu kaufen. „Die kommen entweder mit einem klassischen Schuko-Stecker oder mit einem alternativen Einspeise-Stecker (beispielsweise ein Wieland-Stecker).“ Für letzteres werde eine entsprechende Steckerdose benötigt, die vom Fachpersonal eingebaut werden müsse. Über eine einheitliche Norm gebe es momentan noch Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) und der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS). Hier ist Björn Rau zuversichtlich, dass es zu einer Einigung kommt. „Ich glaube, das wird sich in aktueller Zeit noch lösen.“ Er geht davon aus, dass sich der Schuko-Stecker durchsetzen wird.

Wer eine Mini-Solaranlage nutzen möchte, müsse mehrere Dinge beachten. „Sie sollten unbedingt die Leitung von einem Elektriker prüfen lassen, ob sie für die Einspeisung im Hauskreislauf geeignet ist. Ansonsten gibt es vor allen Dingen die Abstimmung mit dem Hausbesitzer. […] Die Anlage selber muss nur noch beim Netzbetreiber angemeldet und im Marktstammdatenregister registriert werden. Sie bedarf hier keiner Genehmigung.“ Björn Rau vermutet, dass der Gebäudehülle bei der Energiegewinnung eine große Rolle zukommen wird. Mit den Dächern allein sei der Bedarf an Solarenergie nicht zu decken.

Ortsnahe Gemeinschaftslösungen

Der Blick aufs eigene Dach lohne sich in der Regel aber. Davon ist Michael Geißler überzeugt. Er ist der Geschäftsführer der Berliner Energieagentur und rät allen, die ein Interesse an einer ortsnahen Stromerzeugung und -versorgung haben, gemeinsam mit dem Vermieter oder der Vermieterin das Dach in Augenschein zu nehmen. „In aller Regel ist dort nämlich noch nichts an Photovoltaik. Dann würden wir zunächst dazu raten, eine Gemeinschaftslösung ins Auge zu fassen, damit möglichst viele Mieterinnen und Mieter von vor Ort erzeugtem grünem Strom profitieren“, sagt Michael Geißler. Genau wie die Beratungsstelle für bauwerkintegrierte Photovoltaik des Helmholtz-Zentrums Berlin informiert auch die Berliner Energieagentur, kurz BEA, über den Einsatz von PV-Anlagen. Die BEA ist gleichzeitig auch ein Energie-Dienstleistungsunternehmen, an dem das Land Berlin, die KfW Bankengruppe, die Vattenfall Wärme Berlin AG und die GASAG AG beteiligt sind. Das Unternehmen bietet beispielsweise den sogenannten Kiezstrom an. Das bedeutet, Hauseigentümer:innen können der BEA ihr Dach gegen einen symbolischen Mietzins von einem Euro pro Jahr zur Verfügung stellen . Die Berliner Energieagentur plant, baut und betreibt dort dann eine Photovoltaikanlage, mittels derer die Mieter:innen des Hauses den Strom günstig beziehen können.

Momentan seien in Berlin insgesamt rund 160 Megawatt an Photovoltaik-Leistung installiert, erklärt Michael Geißler. „Alle Gutachten kommen zu dem Ergebnis, und das meiner Ansicht nach sehr begründet, dass wir in Berlin mindestens 4400 Megawatt installierte Photovoltaik-Leistung bräuchten, wenn wir in Berlin bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden wollen. Das heißt also, Photovoltaik auf dem Balkon ist gut, auf den Dächern benötigen wir sie für unseren Klimaschutz aber zwingend“, macht der Geschäftsführer der BEA deutlich. Wann immer es möglich sei, solle man sie auf und in Fassaden großflächig anbringen.

Gleichzeitig legt er allen Interessierten nahe, realistisch zu bleiben, da nicht jedes Dach  von seiner Tragkraft her geeignet und nicht jedes aufgrund von Schornsteinen und sonstigen Dachaufbauten völlig frei von Verschattung sei. Michael Geißler ruft dazu auf, sich immer professionell beraten zu lassen: „Es gibt nichts Schlimmeres als ein schlechtes Beispiel, über das dann auch noch viel geredet wird.“

Eine Biogasanlage für den Globalen Süden und die Biotonne 2.0

Kleinstkraftwerke beschränken sich aber nicht nur auf Photovoltaik-Anlagen. Mathias Rüsch hat einen ganz anderen Weg der Energiegewinnung eingeschlagen. Gemeinsam mit zwei Mitbegründern hat er mit dem Unternehmen nOa climate eine Mini-Biogasanlage auf den Markt gebracht. Diese Anlage sei für einzelne Haushalte gedacht. Genau wie die Mini-Solaranlage könne auch die kleine Biogasanlage selbstständig aufgebaut werden. Die Anlage müsse zunächst mit Wasser und bestimmten Mikroorganismen befüllt werden. In der Biogasanlage könnten nach etwa zwei Wochen organische Abfälle entsorgt werden. „Dann ist [sie] tatsächlich bis auf den Austausch von einem Gasfilter, der dafür sorgt, dass das Gas nicht stinkt, über zehn Jahre wartungsfrei im Einsatz.“ Allerdings mögen es die Mikroorganismen in der Anlage schön warm. Es werde eine Grundtemperatur von mindestens 17 Grad Celsius benötigt. „Deswegen ist es auch so, dass wir uns derzeit mit unserem Produkt, das wir entwickelt haben, auf den globalen Süden fokussieren. Und für den globalen Norden aber schon gewisse Entwicklungen vorgenommen haben“, erklärt Mathias Rüsch. Das Unternehmen wolle die sogenannte „Biotonne 2.0“ umsetzen. Sie soll unabhängig von den Jahreszeiten eine konstante Wärmeversorgung für die lebenden Organismen gewährleisten. Die bereits etablierte Mini-Biogasanlage ist nach Unternehmensangaben unter anderem in Kap Verde und Kenia im Einsatz. Dort ließen sich direkt Gasherd, Gaslampe oder Warmwasserbereiter anschließen. In Deutschland – so die Idee – könnte es sich um eine netzgebundene Anlage handeln.

Bürokratische Hürden und technische Herausforderungen

Im Moment befinde sich die Variante für den deutschen Markt noch in einem sehr frühen Stadium, stuft Mathias Rüsch den aktuellen Stand ein. Um den Prototypen zu entwickeln, habe das Unternehmen Fördergelder der EU beantragt. Zwei der fünf Juroren in dem Verfahren seien davon ausgegangen, dass die neue Anlage den deutschen Regularien nicht gerecht werden könne. „Tatsächlich sind die deutschen Regularien Innovationsstopper“, so Mathias Rüsch. Sein Unternehmen habe bereits mit Gasnetzbetreibern gesprochen, die die Idee förderlich fänden und Testhaushalte zur Verfügung stellen. „Da haben wir durchaus Rückendeckung. Jetzt geht es einfach darum, sozusagen Testszenarien zu schaffen, den Prototypen zu entwickeln.“

Gleichzeitig sind die Standards aber auch die Grundlage für ein funktionierendes System. So sieht es der Geschäftsführer der Berliner Energieagentur, Michael Geißler, mit Blick auf den Strom. „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ein hochkomplexes Stromsystem in Deutschland haben - dass wir in Deutschland auch zukünftig im Rahmen der Energiewende ja sehr stark auf dieses Stromnetz setzen.“ Deshalb müsse sich jeder dezentrale Erzeuger und jede dezentrale Erzeugerin bestimmten Regeln unterordnen. „Ich glaube, dass es ein notwendiges Maß [ an bürokratischen Rahmenbedingungen] immer geben muss. Ich erlebe auch, dass wir oftmals vielleicht noch nicht die richtige Informationslage haben, obwohl es schon einfacher geworden ist als vielleicht vor noch vor 10-15 Jahren“, schätzt Michael Geißler den aktuellen Status Quo ein. Es sei grundsätzlich wichtig, die Kleinstkraftwerke anzumelden. „Schlicht und ergreifend aus Sicherheitsgründen, um zu wissen, wo existiert was, um dann im Zweifelsfalle halt auch mal in Notfällen eingreifen zu können“, so der BEA-Geschäftsführer. Bei den Mini-Solaranlagen geht er nicht davon aus, dass es eine ernsthaft sicherheitsrelevante Dunkelziffer gibt. Wenn die entsprechenden Regeln befolgt würden, seien Photovoltaikanlagen ausgesprochen sichere Stromerzeugungsanlagen, so auch Björn Rau, der diese Einschätzung teilt. „Da habe ich gar keine Sorgen.“

Das Gespräch führte Lena Petersen, Wissenschaftsredaktion rbb24 Inforadio

  • Dr. Björn Rau - Helmholtz-Zentrum Berlin, Stellvertretender Leiter PVcomB / Leiter Technologie PVcomB, Projektleiter der Beratungsstelle für bauwerkintegrierte Photovoltaik
  • Michael Geißler – Energieagentur Berlin, Geschäftsführer
  • Mathias Rüsch – nOa climate, Mitbegründer und Chief Marketing Officer

Der Treffpunkt WissensWerte ist eine gemeinsame Veranstaltung der Technologiestiftung Berlin und rbb24 Inforadio.

Die Sendung zum Nachhören finden Sie i beim rbb24 Inforadio und in der ARD Audiothek.

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