Wie digital und lebenswert in Paris geht – 5 Take-Aways

Mit digitalen Technologien und kreativer Beteiligung zur lebenswerten Stadt – diese Mission verfolgen wir nicht nur in Berlin. Unsere Kollegin Julia Zimmermann berichtet, was sie beim Besuch in der französischen Metropole Paris über bildschirmfreie Erlebnisse, spielerische Beteiligung oder langfristige Innovationsstrategien gelernt hat.
Anfang November zog es eine kleine Gruppe von Kolleg:innen nach Paris – eine Metropole der Moderne, Tradition und Innovation. Dort haben wir im Zuge unserer Teilnahme an der Screenless Cities Conference des Thinktanks Urban AI Einblicke in das Forschungsprojekt QTrees, in unser mobiles Labor Kiezlabor und den neuen Talking Treebot gegeben und mit Teilnehmenden aus aller Welt deren Potentiale und Anwendungsgebiete von digitalen Technologien im städtischen Raum diskutiert. Bei unserem Besuch wurden wir dabei auch von zahlreichen anderen Initiativen inspiriert – in voller Länge nachzulesen in diesem Blogbeitrag des CityLAB.
Die Gespräche und Projekte waren dabei so eindrücklich, dass wir hier die fünf wichtigsten Erkenntnisse in Bezug auf die Entwicklung einer lebenswerten Stadt mit euch teilen möchten.
Bildschirmfreie Zeit in der Stadt: Die Screenless City

... steht als beispielhaftes Konzept für eine menschenzentrierte Stadt von morgen. Dabei heißt es “weg vom Bildschirm”, hin zur Stadt als multisensorisches Erlebnis. Was bei einigen als Neujahrsvorsatz unter dem Namen “Digital Detox” oder “Focus Time” betitelt wurde und damit auf den bewussten Verzicht auf die Nutzung von Smartphones abzielt, wird in einem kleinen Dorf im Norden Frankreichs zur Aufgabe der Politik. In 2024 hat die Bevölkerung im kleinen Ort Seine-Port für den Verbot von Smartphones im öffentlichen Raum gestimmt, um für mehr Miteinander zu sorgen. Dabei ist diese Erziehungsmaßnahme nur ein Symptom eines längst bekannten Alltagsproblems: ohne Smartphone geht vieles nicht mehr – oder nur sehr schwer. So steht eine menschenzentrierte Ausrichtung der städtischen Infrastruktur auch in der Debatte um den Kauf von ÖPNV-Tickets im Mittelpunkt. Das Konzept der Screenless City nimmt diese Gespräche zum Anlass, um auf einer theoretischen Ebene aufzuzeigen, wie sehr wir von den Bildschirmen dieser Welt abhängig sind und dabei die Interaktion mit unserer unmittelbaren Umwelt, der Stadt und ihren Menschen, vernachlässigen.

Beteiligung muss Spaß machen
Bürgerbeteiligung ist oft eine Herausforderung: Formulare, lange Sitzungen und komplexe Entscheidungsprozesse können abschreckend wirken. Doch in Paris haben wir erlebt, dass Partizipation auch spielerisch gestaltet werden kann – und sogar muss, wenn sie nachhaltig erfolgreich sein soll. Eric Gordon mehrjährige Erfahrung als Leiter des Engagement Labs des Emerson Colleges bestätigt, dass “das Konzept des Spielens auch gut dafür genutzt werden kann, im öffentlichen Raum zusammen zu finden und zu gestalten”. Menschen, die sich sonst nie beteiligen würden, können sich durch kreativere Formate oder Prozessen wie bspw. interaktive Planungstische oder Papier-Prototypen und Mitmach-Workshops angesprochen fühlen. Und auch in Berlin ist man sich im Projekt “Raum für Beteiligung” einig, dass die Menschen, die direkt im Kiez leben, mit darüber entscheiden sollten, was "smart" eigentlich in ihrer Lebensrealität bedeutet

Co-Creation zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft braucht Vertrauen
Ein offener Austausch zwischen Verwaltung und Bürger:innen ist essenziell für eine erfolgreiche Stadtentwicklung. Doch oft gibt es Barrieren – sei es durch mangelndes Vertrauen, fehlende Transparenz oder unklare Kommunikationswege. In Paris haben wir gelernt: Co-Creation funktioniert dann am besten, wenn es etablierte Strukturen und Räume gibt, die diesen Austausch ermöglichen. Ein Paradebeispiel ist der Pariser „Hôtel de Ville“, in dem nicht nur Verwaltungssitzungen, sondern auch offene Workshops und Beteiligungsformate stattfinden. Hier zeigt sich, wie echte, physische Räume als Orte der Begegnung Vertrauen schaffen können. Der Stadtsoziologe Clive Barnett beschreibt in seinem Werk „The Spaces of Democracy“, dass das die „gespenstige Demokratie“ durch sichtbare Räume und den Austausch vor Ort profitieren kann. Vertrauen wächst, wenn Verwaltung und Zivilgesellschaft regelmäßig in Kontakt treten – nicht nur digital, sondern auch physisch.

Vor der Entwicklung einer Lösung muss das Problem bekannt sein
Innovationen in der Stadtentwicklung sollten nicht technologiegetrieben, sondern bedarfsorientiert sein. Häufig werden digitale Lösungen entwickelt, ohne dass das eigentliche Problem klar definiert wurde. Dieses Phänomen ist auch als „Tech Solutionism“ bekannt, bei der Technologie als universelle Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen betrachtet wird – ohne eine tiefere Analyse des Kontexts. In Paris wurde deutlich: Erst wenn die Bedürfnisse der Menschen verstanden sind, kann Technologie sinnvoll eingesetzt werden. Ein gutes Beispiel ist die datengetriebene Verkehrssteuerung: Anstatt einfach nur neue Apps oder Smart-City-Infrastruktur zu entwickeln, haben einige Kommunen zuerst die tatsächlichen Mobilitätsmuster analysiert, ähnlich wie das CityLAB mit einem frühen Prototpyen aus 2020 Share Mobility Flows oder wie das in Paris genutzte CO2-Dashbaord von NexQTt. Daraus ergeben sich gezielte Maßnahmen, die das Problem – etwa Staus oder mangelnde Erreichbarkeit – wirksam adressieren. Dieses Prinzip deckt sich mit dem „Design Thinking“-Ansatz, der Bedürfnisse von Nutzenden ins Zentrum stellt, bevor technische Lösungen erarbeitet werden. Städte, die diesem Prinzip folgen, vermeiden Fehlinvestitionen und schaffen nachhaltige Innovationen.

Verstetigung braucht langfristiges Denken
Viele Innovationsprojekte sind zeitlich befristet: Sie entstehen durch Fördermittel, haben einen klaren Projektplan – und laufen nach wenigen Jahren wieder aus. Das Problem dabei? Ohne eine langfristige Strategie verlieren Städte den Innovationsvorsprung, den Sie mühsam in so kurzer Zeit erarbeitet haben und müssen oft wieder von vorne anfangen. Eine zentrale Erkenntnis unserer Reise nach Paris war, dass erfolgreiche Projekte bereits in der Antragsphase als langfristige Investitionen gedacht werden müssen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Investition des 17. Arrondissements von Paris in das StartUp UpCiti, bei welcher der Stadtteil die Miete der IoT-Sensoren in ihrem Bezirk direkt auf 10 Jahre angelegt hat und so kontinuierlich Erkenntnisse gewinnen und datenbasierte Entscheidungen treffen kann. Auch in Berlin ist es wichtig, Beteiligungsräume, Maker-Spaces und Begegnungsorte langfristig zu finanzieren, um eine nachhaltige Infrastruktur aufzubauen, die über Projekt- und Regierungszyklen hinaus Bestand haben.
Unsere Reise nach Paris hat uns gezeigt, dass Stadtentwicklung ein gemeinschaftlicher Prozess ist, der auf Austausch, Partizipation und nachhaltigem Denken basiert. Ob bildschirmfreie Erlebnisse, spielerische Beteiligung oder langfristige Innovationsstrategien – all diese Erkenntnisse lassen sich nicht nur in Paris, sondern auch in anderen Städten anwenden. Die Herausforderung besteht darin, sie konsequent zu übersetzen und in den eigenen Kontext zu bringen. Denn eine menschenzentrierte Stadt entsteht nicht durch isolierte Projekte, sondern durch einen stetigen Dialog zwischen Verwaltung, Zivilgesellschaft und Forschung. Mit diesen Learnings im Gepäck freuen wir uns darauf, weiter an innovativen Lösungen für eine lebenswerte Stadt von morgen zu arbeiten – gemeinsam und nachhaltig.
CityLAB Berlin

Im CityLAB wird Innovation und Partizipation zusammengedacht: Verwaltung und Stadtgesellschaft arbeiten hier gemeinsam an Lösungen für das digitale Berlin von Morgen.