Henriette, wie geht‘s den Berliner Stadtbäumen?
Die Bäume Berlins kämpfen zunehmend mit den Folgen des Klimawandels. Henriette Närger, Product Ownerin der Plattform Gieß den Kiez, erklärt, wie Bürger:innen durch gezielte Unterstützung zur Pflege des Stadtgrüns beitragen können. Dabei spielen Wissen über Wassermengen und die enge Koordination zwischen Bezirken und Freiwilligen eine Schlüsselrolle.
Wie wirkt sich der Klimawandel konkret auf die Berliner Stadtbäume aus, und welche Rolle spielt dabei die Wasserversorgung?
Henriette: Die sich wandelnden klimatischen Bedingungen belasten nicht nur uns Menschen, sondern auch die grünen Bewohner unserer Stadt: das Berliner Stadtgrün. So leiden die Bäume zunehmend unter Trockenstress und Hitze, was im Ernstfall eine Fällung zur Folge hat. Gleichzeitig wird Wasser eine immer knappere Ressource – oder im Gegenteil: bei zu viel Mühen können Jungbäume auch totgewässert werden. Wo also anfangen?
Erstmal zur Übersicht: Die Stadtbäume – offiziell Straßen- und Anlagenbäume – gehören offiziell der Stadt Berlin (Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt), und die Pflege liegt in der Verantwortung der bezirklichen Straßen- und Grünflächenämter (SGA). Die zwölf Bezirke unterscheiden sich jeweils in den verfügbaren Ressourcen und den individuellen Gießstrategien, also beispielsweise bis zu welchem Alter bewässert wird und ob externe Dienstleistende mit der Bewässerung beauftragt werden. Das sind dann die kleinen Autos mit großen Schläuchen, die im Sommer durch die Berliner Straßen ziehen. Außerdem ziehen einige engagierte Ehrenamtliche mit großen Gießkannen, Eimern und sonstigen Hilfsmitteln und vor allem mit vollem Einsatz durch die Straßen.
Wie findet man heraus, in welchem Teil der Stadt die Bäume Unterstützung brauchen?
Henriette: Prinzipiell benötigen hauptsächlich Jungbäume zusätzliches Wasser, da diese sich noch nicht über das Grundwasser selbst versorgen können. Auch hier unterscheidet es sich aber von Bezirk zu Bezirk bis zu welchem Alter die Jungbäume gegossen werden. So gibt es manche Bezirke, die sich aktiv an die Zivilgesellschaft wenden und nach Unterstützung fragen, andere Bezirke wiederum weniger.
Wie viel in welchen Bezirken gegossen werden soll, ist von außen schwer nachzuvollziehen.
In einer „idealen Welt“ hätten wir eines Tages Einblick in die individuellen bezirklichen Gießstrategien und könnten diese auch als Orientierung für die ehrenamtlichen Gießer:innen abbilden, um eine noch bessere Koordination zu ermöglichen.
Vier von 12 Bezirken haben uns diese Informationen auch schon zukommen lassen.
Über die Karte auf Gieß den Kiez kann man sich daher annäherungsweise die besonders durstigen Bäume der Stadt anzeigen lassen, also den jeweiligen Wasserbedarf nachvollziehen und einsehen, wie viel Niederschlag plus Bewässerungen der jeweilige Baum davon über den letzten Monat bereits erhalten hat.Unabhängig vom Gießen kann man über die Anwendung außerdem auch spielerisch mehr über den Baumbestand erfahren, also beispielsweise nach dem Alter filtern und neue Arten in der Nachbarschaft entdecken.
Welche Baumarten sind in Berlin zuhause?
Henriette: Nicht nur zu dieser Jahreszeit sind die Bäume bunt, auch sonst haben wir hier eine bunte Palette an Stadtbäumen, und vor allem einige an der Zahl: fast 885.825 (Stand: Oktober 2024).
Insgesamt verzeichnet das Berliner Baumkataster 97 verschiedene Arten, worunter der Ahorn (23%) und die Linde (22%) die Häufigsten sind. Aber die Bandbreite ist groß: auch Trompetenbäume, Japanische Schnurbäume und Kirschen schmücken die Stadt, sowie der Taschentuchbaum – es ist also für jede Jahreszeit etwas dabei. Berlin ist bunt. Und bleibt hoffentlich bunt. Eine Übersicht findet sich hier oder direkt vor der eigenen Tür.
Wer ist denn eigentlich dafür verantwortlich, dass es den Bäumen in unserer Stadt gut geht?
Henriette: Ich würde sagen das ist Ansichtssache. Wie gesagt, offiziell liegt die Pflege der Stadtbäume bei den bezirklichen Straßen- und Grünflächenämtern. Zusätzlich gibt es aber auch einige sehr engagierte Nachbarschaftsinitiativen und Communities, die tagtäglich sehr viel Leidenschaft in die Pflege des Stadtgrüns einfließen lassen – von bepflanzten Baumscheiben, zu gebastelten Infotafeln, angebrachten Wassersäcken, sowie mini-Zäunen zur Abwehr gegen Straßenmüll. Alle mit der gleichen Mission: gesundes und grünes Stadtgrün. Und im besten Fall gehen die bezirkliche Pflege und das ehrenamtliche Engagement zukünftig noch mehr Hand in Hand in der Koordination.
Mit Gieß den Kiez wollen wir einen Ansatz für diese Koordinierung bieten. Sowohl für die Informationen der SGAs – die derzeit auf zwölf verschiedenen Websites verteilt sind – als auch für die Community untereinander etwa durch Features wie Baumadoptionen, Kontaktfunktionen oder einem Community Channel.
Wie und wann dürfen die Berliner:innen die Bäume gießen – gibt es Tipps und Regeln für die richtige Pflege und Bewässerung?
Henriette: Es ist irgendwie witzig, das immer wieder gefragt zu werden, da wir zuerst ja “nur” die Prototyper:innen hinter dem Bildschirm waren. Nach vier Jahren Gieß den Kiez konnten wir uns mittlerweile aber durch den Austausch mit der Stadt, also botanischen Expert:innen, engagierten Bürger:innen, der Verwaltung, aktiven Initiativen, etc. einen recht guten Überblick verschaffen. Von durstigen Altersspannen, Wurzelbildungen, Bodenbeschaffenheit und Baumscheiben hin zu spezifischen Metriken und Sensorwerten (und was in dem Kontext “Saugspannung” eigentlich bedeutet) – unser Daumen wurde immer grüner. Und tippt nicht mehr nur noch auf der Tastatur, sondern gräbt ab und zu auch mal in der Baumscheibe.
Die Faustregel lautet also:
Wann: Prinzipiell in der Vegetationsperiode (April-Oktober), und am besten abends.
Wie: Nicht zu viel, aber viel auf einmal.
Wer: (Frauen und) Kinder zuerst!
Und was heißt das jetzt konkret?
Als Grundlage ist erstmal das Alter wichtig, denn hauptsächlich Jungbäume (ca. 0-15 Jahre) benötigen zusätzliches Wasser. Das allerdings nicht zu häufig, wenn dann aber mit großen Wassergaben auf einmal (ca. ein bis zweimal im Monat mit ca. 100 - 200l Wasser), damit sich das Wurzelwerk tief nach unten ausbilden kann und um Totwässerungen zu vermeiden. Ältere Bäume haben ein ausgeprägtes und weitreichendes Wurzelsystem und sollten sich darüber über das Grundwasser selbst versorgen können. Doch auch diese brauchen in den immer anspruchsvolleren Sommern teilweise zusätzliche Unterstützung. Vor jeder Gießung wird empfohlen den ausgetrockneten Boden aufzulockern, damit das Wasser nicht oberirdisch abläuft oder sich anstaut.
Außerdem gibt es weitere individuelle Faktoren wie zum Beispiel der Standort (sonnig/schattig), die Bodenbeschaffenheit (Sand, etc.), die Baumscheibe (Größe und Umgang), oder der Stammumfang (dünn/dick).
Für mehr fachliche Expertise verweisen wir gerne auf unsere FAQs und das Handbuch Gute Pflege.
Wie sollten wir als Stadtgesellschaft unsere Bäume also behandeln?
Henriette: Mit offenem Herzen, offenen Augen, und einem bedingt offenen Wasserhahn. Unsalso weiterhin für sie engagieren, hellhörig und in Absprache mit anderen Involvierten: sowohl der städtischen Pflege, um Überwässerungen zu vermeiden, als auch mit der Community. Denn: gemeinsam schleppen sich die Gießkannen doch meistens leichter.
Gieß den Kiez
Gieß den Kiez ist eine Plattform zur Koordinierung der Bewässerung der Berliner Bäume. Die Karte bildet fast alle Straßen- und Anlagenbäume Berlins mit Informationen wie Wasserbedarf, Alter und Art dar und lädt alle Bürger:innen ein, sich an der Bewässerung unseres gefährdeten Baumbestands zu beteiligen.