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Forum Wissenswerte: Emotionen in der Stadt: Wichtig für eine zukunftsorientierte Stadtplanung?!

  • Rubrik Aus der Stiftung
  • Veröffentlichungsdatum 05.05.2025
Michael Scherer

Die Stadt ist voll, die Stadt ist laut, die Stadt ist hektisch. Berlin in unserem Fall – kann ganz schön stressen. Und das wiederum kann krank machen. Studien belegen: wer in einer Stadt lebt – und Prognosen zufolge werden das im Jahr 2050 zwei Drittel der Menschheit sein – hat ein deutlich höheres Risiko psychisch zu erkranken als Menschen, die auf dem Land leben. Höchste Zeit, zu handeln, fordern deswegen Expert:innen.

Ein Bericht von Jessica Wiener.

Der Weg zu menschenwürdigeren Städten muss über eine innovative Stadtplanung gehen. Diese Einschätzung teilen Prof. Dr. Mazda Adli von der Fliedner Klinik Berlin und Charité-Universitätsmedizin Berlin und Dr. Stephanie Bock vom Deutschen Institut für Urbanistik. Eine große Rolle spielten dabei bürger:innenzentrierte Ansätze, die Beteiligung fördern. Das könne unter anderem gut funktionieren durch den Einsatz neuester Technik, wie Prof. Dr. Ute Wagner von der Berliner Hochschule für Technik im Forschungsprojekt INSPIRER festgestellt hat.

Die Stadt als Stressor – Die Stadt als Chance

Das Risiko an Schizophrenie zu erkranken ist bei Stadtbewohnenden im Vergleich zu Landbewohnenden doppelt so groß; das für Depressionen anderthalbmal so hoch. Und auch Angsterkrankungen kommen bei Menschen, die in einer Stadt wohnen häufiger vor als bei Menschen, die auf dem Land leben. Das belegen aktuelle Studien. „Alle Hinweise, die wir bisher haben, deuten (als Grund dafür) auf den Faktor Stress“, sagt der Psychiater und Stressforscher Prof. Dr. Adli. „Und zwar auf sozialen Stress – das ist derjenige Stress, der durch das Zusammenleben und die Interaktion von Menschen vor allem auf begrenzten Raum besteht, aber auch das Fehlen von Interaktionen“. Stress werde dann zum Problem, wenn er chronisch wird. „Das, was sozialer Stress halt gern mal ist“.

Nun werden Prognosen zufolge bis 2050 zwei Drittel der Menschheit Stadtbewohner sein. Deswegen sei es „absolut höchste Zeit“ herauszufinden, wie wir die Menschen in der Stadt schützen können und die Stadt zu einem lebenswerten Ort für alle machen, so Adli. Denn, Städte hätten eigentlich viel mehr Vorteile als Nachteile: bessere Gesundheitsversorgung, mehr Chancen für Entwicklung, Entfaltung, Bildung und auf Wohlstand. Allerdings hätten nicht alle Menschen den gleichen Zugang dazu. Den brauche es aber für eine menschenwürdige Stadt.

Dieser Überzeugung ist auch die Wissenschaftlerin Dr. Bock. Sie fügt hinzu, dass es auf dem Weg zu einer lebenswerteren Stadt „darum (gehe), zu entscheiden, wie wir die Stadt organisieren“. „Lebensqualität, ökologische Möglichkeiten, gute Erreichbarkeiten, bezahlbares Wohnen, soziales Miteinander“ immer mit eingerechnet. Ein wichtiges Tool bei Vorhaben der Stadtplanung und -entwicklung ist deswegen die Beteiligung der Öffentlichkeit. Geht es doch um die „Lebensqualität in den Kiezen“ und um die direkten Erfahrungen der Menschen vor Ort in der Stadt.

Große Herausforderung bei der Beteiligung sei alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Es gebe zwar Menschen, die sich sehr intensiv beteiligen, sagt Bock. Es gebe aber auch Menschen, bei denen Beteiligung eher nachgeordnet ist – aus verschiedenen Gründen. „Wenn (aber) immer nur die mit den lauten Stimmen sich äußern, dann fallen ganz viele Bedarfe unter den Tisch“. Die bislang eher ungehörten Stimmen müsse man „methodisch gezielt hervorlocken“, so Bock.

Mehr Beteiligung durch „Wachstum zum Anfassen“

Alle Bevölkerungsgruppen, möglichst divers in Beteiligungsprozessen der Stadtplanung mit einzubinden: das war der große Motivator für das Forschungsprojekt INSPIRER – unter anderem von der Berliner Hochschule für Technik. Der Weg dahin? Erfahrbare Stadtplanung durch neue digitale Möglichkeiten wie Virtual Reality Brillen und Augmented Reality Apps, erklärt Prof. Dr. Wagner.

Dadurch würden Stadtplanungsprojekte virtuell erlebbar gemacht – entweder eingeblendet in die reale Welt oder in einer komplett virtuellen Welt. „Dass man das erleben kann“. Und dass man – „egal aus welchem Kontext man kommt, ob man jung ist oder alt, oder schon sehr affin mit neuer Technologie oder nicht, an solchen Gestaltungsprozessen teilnehmen kann und auch Feedback geben kann“. „Unser Ansatz ist eigentlich, dass jeder, der an der Stelle vorbeiläuft, an der etwas passieren soll, mitgenommen wird und angeregt wird, sich mit einzubringen“, so Wagner. Der verfolgte Ansatz bei den Apps: der Spaß an dem Ganzen. Durch den spielerischen Zugang habe man im Projekt ganz verschiedene Bevölkerungsgruppen erreichen können.

Auf den Spaß setzen auch Adli und sein Team bei ihrem Citizen-Science-Projekt „Deine Emotionale Stadt“. Über eine App können die Teilnehmenden laut Adli selbst sieben Tage lang zum Stressforscher werden, indem sie Fragen zu ihren Emotionen beantworten und Kontext geben, an welchem Ort sie sich befinden und ob sie in Gesellschaft oder allein sind. Aus diesen Daten soll eine Emotionskarte Berlins entstehen, die Aufschluss darüber geben soll, wie und wo welche Emotionen entstehen und wodurch sie gefördert werden. Wichtige Erkenntnisse auf dem Weg zu einer Stadt von morgen, die „gut für die Gesundheit ihrer Bewohner (ist). (Sie) schützt und stärkt.“ Er sehe da eine stadtplanerische Pflicht, so Adli.

Wo steht Berlin?

Berlin befinde sich derzeit auf einem „nicht ganz einfachen Weg“ dorthin, sagt Bock. „Eigentlich müsste es um eine lebenswerte Stadt gehen, aber wir wissen, dass Städte auch ökonomische Orte sind. Das streitet oft miteinander.“

Berlin wäre dann auf einem guten Weg, wenn Debatten in all ihrer Unterschiedlichkeit geführt werden und das auch im öffentlichen Raum. Auch die leisen Stimmen müssten dabei berücksichtig werden, so die Forderung. Schaue man ins europäische Ausland, seien da zum Beispiel Paris und Barcelona  schon deutlich weiter. Wesentlich eindeutiger habe man sich an einigen Orten für Veränderungsprozesse entschieden und schwierige Entscheidungen getroffen. Die Position in Berlin – derzeit eher unsicher, sagt Bock.

 

Das Gespräch führte Jessica Wiener, Wissenschaftsredakteurin beim rbb24 Inforadio.

Der Podcast zum Nachhören

Referent:innen:

  • Prof. Dr. Mazda Adli
    • Psychiater und Stressforscher von der Fliedner Klinik Berlin und Charité-Universitätsmedizin Berlin
    • Leitet an der Charité den Forschungsbereich Neurourbanistik und das Forschungsprojekt „deine emotionale Stadt“
  • Dr. Stephanie Bock
    • Leitet am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) im Forschungsbereich „Stadtentwicklung, Recht und Soziales“ das Team „Stadt und Raum“
  • Prof. Dr. Ute Wagner
    • Von der Berliner Hochschule für Technik
    • Fachbereich Mathematik – Physik – Chemie

Das Forum Wissenswerte ist eine gemeinsame Veranstaltung der Technologiestiftung Berlin und rbb24 Inforadio. Die Sendung finden Sie zum Nachhören im rbb24 Inforadio und in der ARD Audiothek.

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Das Forum Wissenswerte gibt einen vielseitigen Einblick in aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen auf dem Gebiet der Wissenschaft und Forschung, die unser Leben maßgeblich prägen. In Kooperation mit rbb24 Inforadio.