Berlin als strategisch wichtiger Standort für Mikroelektronik in Europa?
Die Pandemie hat es erstmals gezeigt, der russische Angriffskrieg hat es verschärft, und der Wettlauf um Künstliche Intelligenz macht es endgültig offensichtlich: Wer in der globalisierten Welt technologisch abhängig ist, verliert nicht nur ökonomische Gestaltungskraft, sondern setzt auch seine politische Handlungsfreiheit aufs Spiel. Immer häufiger rückt deshalb ein Begriff ins Zentrum politischer und wirtschaftlicher Debatten: die technologische Souveränität. Was diese mit dem Thema Mikroelektronik zu tun hat und welche Rolle Berlin dabei einnehmen kann, analysiert unser Kollege Victor Wichmann in der (bald erscheinenden) Studie „Berliner Beitrag zur technologischen Souveränität in der Mikroelektronik“.
Was bedeutet technologische Souveränität und was hat sie mit Mikroelektronik zu tun?
Technologische Souveränität ist ein zentrales strategisches Ziel für Europa und Deutschland. Doch was steckt eigentlich hinter dem Begriff? Der Begriff wird vom Rat für technologische Souveränität (des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt, BMFTR) definiert als die „Fähigkeit, jederzeit Zugang zu denjenigen Schlüsseltechnologien garantieren zu können, die zur Umsetzung gesellschaftlicher Prioritäten und Bedürfnisse notwendig sind". Die Mikroelektronik ist eine solche Schlüsseltechnologie. Denn ohne Mikroelektronik wären zahlreiche Anwendungen für Künstliche Intelligenz, das Internet of Things (IoT), Telekommunikation oder der Automobilindustrie undenkbar. Man kann die Mikroelektronik daher als „Rückgrat der Digitalisierung“ bezeichnen.
Was machen die EU und Deutschland?
Gegenwärtig ist die europäische Mikroelektronik jedoch stark von Zulieferern aus Asien und den USA abhängig. Um diese bestehenden Abhängigkeiten zu reduzieren, hat die Europäische Union 2023 den European Chips Act ins Leben gerufen, der darauf abzielt, die europäische Halbleiterproduktion auszubauen und Investitionen in Forschung und Entwicklung zu stärken. Als größter Halbleiter-Produktionsstandort Europas spielt Deutschland dabei eine zentrale Rolle. Die Mikroelektronik ist daher auch als eine von sechs Schlüsseltechnologien in der im Juli 2025 verabschiedeten Hightech-Agenda Deutschland des BMFTR definiert. Teil davon ist die im Oktober 2025 gemeinsam im Bundeskabinett beschlossene nationale Mikroelektronik-Strategie, in der zukünftige Schwerpunkte der Mikroelektronik in Deutschland festgelegt wurden.
Welchen Beitrag kann Berlin hier leisten?
Um eine relevante Rolle in der Mikroelektronik zu spielen, ist es aus Sicht Berlins empfehlenswert sich – in Anlehnung an die nationale Mikroelektronik-Strategie – eigene strategische Überlegungen zu machen. Denn eine frühzeitige strategische Ausrichtung würde das Land mit seinen Stakeholdern in eine günstige Ausgangslage versetzen. Zur Vermeidung von Parallelstrukturen mit anderen europäischen Mikroelektronikstandorten und zur optimalen Nutzung knapper finanzieller Mittel, wäre es sinnvoll sich dabei auf einen Bereich der Mikroelektronik-Wertschöpfungskette zu fokussieren.
Auf Basis bestehender Kompetenzen in Forschung und Wirtschaft böte sich der Bereich „Advanced Packaging und Mikrointegration“ an. Darunter versteht man vereinfacht gesagt die Integration, verschiedener Komponenten zu einem leistungsfähigen, kompakten Gesamtsystem, die auf die klassische Fertigung (sogenannte „Frontend-Fertigung“) der Chips folgt und daher auch als „Backend-Prozess“ bezeichnet wird. Während dieser Schritt traditionell wenig komplex war, wird der Backend-Prozess heute immer spezialisierter und innovativer. Das liegt daran, dass Chips nicht mehr unbegrenzt verkleinert werden können und die physikalischen Grenzen zunehmend erreicht sind. Deshalb setzen Forschende und Unternehmen verstärkt auf Heterointegration: Dabei werden verschiedene Arten von Halbleiterbausteinen, etwa für Rechenleistung, Speicher oder Sensorik, in einem einzigen Chip vereint, um Geräte noch leistungsfähiger, effizienter und vielseitiger zu machen. Berliner Forschungseinrichtungen, wie das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM), sowie Firmen, wie Swissbit oder AEMtec, gelten als Vorreiter in diesem Bereich. Ein weiterer Pluspunkt ist die Kompatibilität des Backend-Bereichs mit der Photonik, in der Berlin traditionell sehr gut aufgestellt ist. Die Photonik spielt in diesem Zusammenhang eine immer wichtigere Rolle, weil sie eine neue Art der Signalübertragung auf Chips ermöglicht. Sie ergänzt die Elektronik, indem sie Licht statt Strom für die Informationsübertragung nutzt – und wird damit ein zentraler Bestandteil moderner Chiptechnologien, die auf Advanced Packaging und Heterointegration setzen.
In unserer 2026 erscheinenden Studie wird die technologische Souveränität Europas entlang der Mikroelektronik-Wertschöpfungskette analysiert und bewertet. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem Beitrag Ostdeutschlands – und hier insbesondere Berlins – zur europäischen Mikroelektroniklandschaft. Aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen formuliert die Studie konkrete Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Berliner Mikroelektronik-Branche.
Für fachlichen Austausch schreiben Sie mir gerne an victor.wichmann[at]ts.berlin.