3x nachgehakt: Dr. Carina Vorisek, Berlin Institute of Health an der Charité Berlin
Wir stellen drei Fragen an Digital-Praktiker:innen, deren Themen uns bewegen. Dieses Mal an Dr. Carina Vorisek, wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité Berlin, die uns erklärt, welche Risiken und Nutzen sie für neue Dateninfrastrukturen wie der elektronischen Patientenakte sieht und warum sie sich faire Gesundheitsdaten für Künstliche Intelligenz wünscht.


In der aktuellen Debatte um die elektronische Patientenakte gibt es viel Unsicherheit rund um geteilte Gesundheitsdaten. Wo verläuft hier die Trennlinie zwischen persönlichem Datenschutz und geteilten Daten zum Wohle aller?
Das ist eine Frage des Blickwinkels. Natürlich sollte man das Risiko immer abwägen, aber der Nutzen ist für mich persönlich enorm, wenn wir alle unsere Daten teilen und somit für alle nutzen können. Gerade wenn ich – zum Beispiel als Frau – aktuell als Individuum einer marginalisierten Gruppe kein Teil einer großen Datenmenge bin, gibt es für mich weniger gute Forschung und damit weniger gute Versorgung.
Wichtig ist: Die Datenhoheit liegt immer bei mir als Patientin.
Inwiefern?
Historisch bedingt haben wir vor allem Daten von weißen Männern mittleren Alters. Da fehlen Kinder, ältere Personen, und alle anderen, die nicht zu dieser Personengruppe zählen – und damit auch erforschte Therapien oder Präventionsmaßnahmen. Wir wissen zum Beispiel, dass Frauen mehr Nebenwirkungen nach Medikamenteneinnahme erfahren als Männer. In unserer neu gegründeten Projektgruppe zu Diversity in der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS), die ich leite, beschäftigen wir uns zum Beispiel damit, wie wir mehr Awareness für das Thema Diversität im Bereich Medizininformatik schaffen können, auch was die Daten angeht.
Wenn wir Diagnose- und Therapiemöglichkeit wollen, die auf uns als Individuen abgestimmt sind, müssen wir auch Daten teilen. Früher war man eher der Ansicht, dass es in der Medizin ein „one size fits all“ gibt. Gerade durch Künstliche Intelligenz können wir heute eine individuelle, eine sogenannte Präzisionsmedizin erreichen.

In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass wichtige Daten für vulnerablen Gruppen wie ältere oder chronische kranke Menschen fehlen – auch jetzt in der Erforschung von Post-Covid-Erkrankungen. Was hat sich in der Charité und im BIH mit der Pandemie geändert?
Die Pandemie hat gezeigt, wofür wir Daten im Gesundheitsbereich brauchen. Denn anders als andere Länder konnten wir nicht in Echtzeit auf Daten zugreifen und wussten etwa nicht, wer auf Intensivstation liegt, und wen wir schützen müssen. Da haben einige gemerkt, dass gut aufbereiteten Daten auch einen echten Nutzen haben.
Wir beobachten auf jeden Fall gerade im Projekt NFDI4Health bei Forschenden schon jetzt eine höhere Bereitschaft, Daten so aufzubereiten, dass sie FAIR (auffindbar, zugänglich, interoperabel, wiederverwendbar) sind. Trotzdem ist da noch viel Aufklärungsbedarf: Wenn ein Leiden da ist, dann werden Daten auch sehr offen geteilt und mit einer großen Überzeugung.
Es geht um ein bestimmtes Mindset: Gesundheitsdaten zu öffnen bedeutet erstmal Mehrarbeit ohne direkt den individuellen Nutzen zu sehen – denn diese Daten sind für die allgemeinen Bevölkerung. Je mehr Datenpunkte ich habe – zu Gesundheit, Umwelt, Ernährung –, desto besser sind aber auch die Behandlungsmöglichkeiten für alle.

Also: Gute Daten = gute Digitalisierung? Welche Effekte können mehr und bessere Daten auf die Gesundheitsforschung und -versorgung haben?
Die Datengrundlage kann im Gesundheitsbereich alles ändern. Der Einfluss in der Forschung ist massiv: Je größer die Kohorten – und damit die Datenmengen – sind, desto mehr sagen Studien aus. Auch für neue Ansätze mithilfe Künstlicher Intelligenz brauchen wir gut strukturierte Daten, die wir zu einer größeren Datenmenge zusammenfügen und für alle nutzen können.
Deswegen sind strukturierte Daten eine Riesenchance, auch bei der elektronischen Patientenakte. Momentan ist das ein PDF-Dokument, also da sitzen unstrukturierte Daten – wie in einem digitalen Ordner. Für die Versorgung oder auch für die Forschung ist es schwer, sämtliche PDF-Dokumente zu durchsuchen. Zukünftig sollen es Stück für Stück keine Textdokumente mehr sein, sondern strukturierte Daten mittels dem Austauschstandard FHIR, welche zum Beispiel über ein Dashboard einsehbar sind. So kann ich mir als Ärztin viel schneller einen Überblick über die Daten verschaffen – anfangs mit Informationen zu Medikamenten, Allergien, Wechselwirkungen oder auch vorhandenen Schwangerschaften.