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  • Thema Stiftung

„Wenn wir es in Berlin nicht schaffen, gelingt es nirgends“

  • Rubrik Aus der Stiftung
  • Rubrik Interview
  • Veröffentlichungsdatum 03.07.2020
Frauke Nippel

Am 17. Dezember 2019 wurde Prof. Dr. rer. nat. Martina Schraudner zum Mitglied des Vorstands der Technologiestiftung bestellt. Im Interview erzählt sie, wie sie die ersten Monate erlebt hat, und blickt auf die Digitalisierung.

Prof. Dr. rer. nat. Martina Schraudner

Sie sind seit Dezember letzten Jahres im Vorstand der Technologiestiftung. Das waren 10 Wochen Normalität, dann kam Corona. Haben Sie sich trotzdem schon eingefunden?

Prof. Dr. Martina Schraudner:  Ja, ich habe schon einiges gesehen und gehört – Anfang des Jahres waren ja persönliche Begegnungen noch möglich und das hatte ich für den Austausch genutzt.

Berlin ist ein Ort mit einer enorme Forschungsdichte und guten Netzwerken. Hier ist alles sehr schnell und offen. Wenn wir es in Berlin nicht schaffen, die vielen verschiedenen Perspektiven und das reiche Wissen für eine dynamische technologische Entwicklung zu nutzen, gelingt es nirgends. Eine Einrichtung wie die Technologiestiftung, die das Know-how mitbringt und neutral agiert, ist in diesem Zusammenhang sehr wertvoll. Ich freue mich sehr darauf, in diesem Sinne tätig zu werden.

Leider habe ich es nicht mehr geschafft, das CityLAB zu besuchen. Das ist schade. Diesen Ort, an dem Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Stadtgesellschaft zusammenkommen, um die digitale Entwicklung voranzubringen, finde ich besonders spannend. Die Digitalisierung hat durch Corona einen zusätzlichen Schub erhalten: Homeoffice, Lieferdienste - ja, selbst die Eintrittskarten für Museum und Schwimmbad gibt es mittlerweile nur noch online. Die Digitalisierung dringt immer weiter in unseren Alltag ein und verändert unser Verhalten. Es ist wichtig, dass alle gesellschaftlichen Gruppen den Prozess mitgestalten. Das CityLAB ist ein Ort, an dem dies möglich ist.

Sie forschen und lehren zu Gender und Diversität in der Technik. Wie würden Sie den das Wechselverhältnis zwischen technologischem und gesellschaftlichem Wandel beschreiben?

Prof. Dr. Martina Schraudner: Die Bereiche kann man nicht klar voneinander abgrenzen. Tatsächlich ist das, was wir als technologischen Wandel wahrnehmen, ja häufig eher ein sozialer Wandel. Schauen Sie sich Firmen wie airbnb oder Uber an: Diese Unternehmen, die wir mit der Disruption ganzer Branchen in Verbindung bringen, sind gar nicht technologisch innovativ. Mit ihren Angeboten verändern sie unser Verhalten. Sie schaffen soziale Veränderungen.

Egal, ob wir Entwicklung als technologische oder soziale Veränderung wahrnehmen: Wichtig ist, dass wir nicht hinterherlaufen. Vor allem die Politik sollte nicht nur die Rahmenbedingungen für Entwicklung schaffen sondern sie mitgestalten, im Idealfall vorher aktiv werden und nicht hinterher auf das reagieren, was sich bereits vollzogen hat.

Und natürlich ist es wichtig, dass der Prozess so organisiert wird, dass er unsere diverse Gesellschaft abbildet und auch die Potenziale nutzt, die die Diversität bietet. Diverse Gruppen stellen mehr Fragen, können ein Problem von mehreren Seiten beleuchten und haben eine viel höhere Problemlösungskompetenz als homogene Gruppen.

Die Betriebswirtschaft hat die Potenziale von Diversität schon vor Jahren erkannt und nimmt die Erfahrungen auf, die Ingenieurwissenschaften und die IT öffnen sich gerade. In Berlin, wo an Genderfragen über drei Universitäten hinweg geforscht wird, haben wir die Möglichkeiten, Interdisziplinarität zu nutzen und weiterzuentwickeln.


Gerade im Digitalbereich hat man aber den Eindruck, eine sehr homogenen Szene sei da bei der Arbeit. Tut der Bereich genug, um die Potenziale zu nutzen, von denen Sie gesprochen haben?

Prof. Dr. Martina Schraudner: Der Digitalbereich ist tatsächlich sehr homogen, sehr männlich geprägt. Das liegt daran, dass bereits die Ausbildung zu einseitig auf technologische Fragestellungen schaut. Wer Frauen mit dabeihaben will, muss sie anders abholen.

Frauen lassen sich von technologischen Fragestellungen alleine oft nicht motivieren. Sie haben ein anderes soziales Verhalten gelernt als Männer. Sie denken anwendungsorientiert und wollen Probleme lösen, die sie sehen. Das lässt sich nachweisen. Wenn Sie beispielsweise fragen, wieso Frauen Technologieunternehmen gründen, wird deutlich, dass sie thematisch orientiert sind. Die Technik wird als Mittel zum Zweck eingesetzt, aber in den seltensten Fällen steht sie im Vordergrund.

Da wir um den Wert diverser Gruppen wissen, muss Digitale Bildung sich mehr um solche Ansätze bemühen und anwendungsorientiert argumentieren. -Übrigens sind Einrichtungen wie das CityLAB, die eine lösungsorientierte Digitalisierung vorantreiben und Fragen des gesellschaftlichen Zusammenseins thematisieren, Orte, die diese Herangehensweise geradezu beispielhaft vermitteln.