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Einfach mal machen. Ein Gespräch über Change Management im Kulturbetrieb

Foto: Alexander Rentsch

„Veränderung bedeutet Entwicklung – nicht Revolution.“, sagt die Resilienz-Dispatcherin Liga Megne, die sich für die Digitalisierung der Kultur einsetzt. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie betriebliches Change Management von Analyse bis zu Implementierung funktioniert und wieso es so wichtig ist, dass Dinge auch einmal schief gehen dürfen. 

Du bist eine der knapp 70 Berliner sog. "Resilienz-Dispatcher:innen" für Kulturbetriebe. Diese neu eingerichteten Stellen der Senatsverwaltung für Kultur und Europa sollen die digitale Entwicklung im Kulturbereich unterstützen. Du arbeitest beim Musicboard Berlin – wie bist Du dort hin gekommen?

Liga Megne: Ich arbeite derzeit beim Musicboard Berlin und bin gleichzeitig für verschiedene Projekte in der Kultur Produktionsleiterin – von Theater, über Performance bis zum Film. Davor war ich lange Jahre in der IT tätig und habe da eine ganze Karriere hingelegt. Zuletzt lag mein Fokus auf Datenintegration. Dann kam die Corona-Zeit und ich hatte große Lust, einmal etwas anderes zu machen. Und es hat großartig gepasst: Ich konnte meine digitalen Fähigkeiten einbringen, aber ich konnte weiter in der Berliner Kultur unterwegs bleiben. Interessant ist, dass ich seitdem die Technik tatsächlich wieder angefangen habe zu vermissen – deswegen gehe ich insgesamt auch in meinen freien Projekten wieder stärker in die technische Richtung. Interessiert bin ich an den neuen Technologien wie Web3, Blockchain oder Metaverse und bilde mich dazu fort und probiere mich aus. Was mir grundsätzlich so viel Spaß macht an der Arbeit im Digitalen ist, dass alles so schnell groß werden kann, so rasant skaliert. 

Auch für die Kulturszene Berlin ist die digitale Transformation längst ein Thema. Ein neuerer Ansatz der Berliner Kulturverwaltung war die Schaffung von Stellen für sog. Resilienz-Dispatcher:innen, die Vorhaben der Digitalisierung unterstützen sollen. Wie sieht deine Tätigkeit als Resilienz-Dispatcherin aus?  

Liga Megne: Was ich mache ist eine Kombination aus Beratung und Implementierung für Digitalisierung. Das Musicboard hat für sich Bereiche zur Digitalisierung identifiziert. Diese Bereiche sehen wir uns nacheinander an, um einerseits individuelle Probleme zu verklaren, aber auch um eine übergeordnete IT-Strategie für die Organisation zu entwickeln. Die Beratungsrolle verstehe ich so, dass ich mit Team und Leitung gemeinsam schaue, wo das Problem oder die Schwierigkeit liegt, um dann daraus erste Schritte oder Lösungen zu erarbeiten. Ab hier geht es weiter in die Implementierung als gesonderter Schritt. Ich gehe auf die Suche nach Methoden, Tools, Anbieter:innen oder Lösungen – und stelle mir die Frage: Passt das zu meiner Organisation? Der Weg der Implementierung folgt den Stufen Kick-off, Schulungen, neue Prozesse definieren und – nicht zu vergessen – die iterative Begleitung all dieser Stufen. Meine Arbeit als Resilienz-Dispatcherin hat also die Schwerpunkte Beratung, Implementierung und kontinuierlicher Support. 

Remote first – auch bei der Arbeit im Kulturbetrieb

Foto: Alexander Rentsch

Mit der Pandemie kam ein Digitalisierungsschub in unsere Arbeitswelt. Das Arbeiten aus dem Homeoffice als Standard oder “remote first” – in vielen Unternehmen ist das nun selbstverständlich. Was sind die Voraussetzungen, damit das funktioniert?

Liga Megne: Was es bedarf ist Infrastruktur für die Mitarbeiter:innen. Das bedeutet Internetzugriff, ein Laptop oder mobiles Endgerät und für alle teilbare Ressourcen. Hierin steckt auch die häufig große Frage danach, wo Unternehmensdaten gespeichert sind und wie Zugriffe geregelt sind. Das ist mit Investitionen verbunden, die allerdings heutzutage eher überschaubar sind. Ein weiterer Punkt ist die Einfachheit. Die digitale Infrastuktur muss entsprechend einfach zugänglich sein, d.h. die verwendeten Tools und Lösungen müssen von allen bedienbar sein und der jeweiligen Verwendung angepasst sein. Wichtig ist der Switch besonders bei Kommunikationstools, damit Meetings stattfinden und insgesamt der Informationsfluss im Betrieb gesichert bleibt. Auch Vorgesetze müssen sich auf die Remote-Situation einstellen, denn die Kommunikation funktioniert anders als analog in einem Raum.

Wie funktioniert “remote first” in Kulturbetrieben? 

Liga Megne: In meiner Wahrnehmung ist das Prinzip “remote first” komplett übertragbar auf Kulturbetriebe und ich sehe in der Tat kaum Besonderheiten in der Kultur, die ein standardmäßiges Arbeiten aus der Ferne verhindern würden. Das bedeutet allerdings nicht, dass es dafür keine Anpassungen oder Umstellungen bedürfte. Einen Problemkreis sehe ich:

Eine Sache, die bezogen auf Kulturbetriebe ein Hindernis sein könnte, remote zu gehen ist, dass es keine allgemeingültigen Methoden der Zusammenarbeit gibt. Etwa ist es für mich aus der Softwareentwicklung kommend, selbstverständlich mit gängigen agilen Methoden umzugehen, z.B. Scrum. Wenn man innerhalb der Branche den Betrieb wechselt und nun an einem ganz anderen Produkt oder Service arbeitet, dann kenne ich trotzdem einen großen Teil der Abläufe und Regeln des Unternehmens – ohne dass ich einen Tag dort gearbeitet hätte. Eben weil z.B. die Scrum-Methode so verbreitet ist. Man kennt seine Rolle und die Kommunikationswege ohne große Erklärung. In der Kultur gibt es weniger derart formalisierte Methoden der Kooperation. Auch sind die Rollen der dort Arbeitenden nicht so klar definiert. Das liegt auch an der großen Vielfalt der Ausbildungswege im künstlerischen Bereich. 

Du arbeitest mit der “Handbook First” Methode und hast kürzlich auf der kulturBdigital-Konferenz dazu gesprochen, wie Du sie in deiner Arbeit einsetzt. Worum geht es hierbei? 

Liga Megne: “Handbook First” ist eine Methode, die das GitLab geprägt hat – das ich übrigens auch sehr als Ressource für Change Management empfehlen würde. Im Grunde ist es ein Ansatz der rigorosen Dokumentation von Prozessen und Lösungen: Stetig wird bei allen Unternehmensschritten ein Handbuch verfasst und jeder ist sich darüber im Klaren, warum das so wichtig ist. Dabei geht es nicht nur darum, Bestehendes zu dokumentieren. Das kann ja manchmal sehr schwerfällig sein, wenn man fünf oder zehn Jahre Arbeit und Prozesse zurück blickt, die man nun aufschreiben soll. Nicht Dokumentieren um des Dokumentieren willens. Das Handbuch wird auch geführt, wenn neue Dinge oder Projekte entstehen – die Arbeit fängt im Schriftlichen an. Z.B. wird erst dokumentiert und dann im Team-Chat darüber gesprochen. Das hat auch den unbedingten Vorteil, das man zu einer gemeinsamen Ausrichtung und einem gleichen Wissensstand im Unternehmen kommt. Das kommt am Ende neuen Entwicklungen zu Gute und nutzt das gesamte Talent der Organisation. Bei GitLab gilt sogar die “Public Handbook First”- Methode. Das bedeutet. dass alles, das nicht aus guten Gründen geheim bleiben muss an Prozessen oder Informationen, grundsätzlich erstmal öffentlich für alle einsehbar ist. 

Veränderung fällt meistens nicht leicht. Was sind Deine Erfahungen damit und worauf kommt es für dich an beim Change Management? 

Liga Megne: Ein guter Kollege sagte mir mal: „Veränderung bedeutet Entwicklung – nicht Revolution.“ Also voran bringen und nicht einreißen. Das ist die Grundhaltung. Zudem muss man verstehen, was das Problem ist, das es zu lösen gilt. Wenn man Veränderung macht, braucht es das Verständnis darüber, warum man sie möchte. Und dabei nicht von der Lösung her denken. Wenn es zum Beispiel aus der Buchhaltung heißt, das Erfassen von Belegen dauert so lange, dann kann eine Lösung sein, eine große teure Software zu kaufen. Wenn man beharrlich nach dem Warum fragt, ist es aber auch möglich, dass die Lösung schlicht darin liegen könnte, einen Scanner zu kaufen, der Scans mit Texterkennung erlaubt. Das ist ein völlig anderer Aufwand. Es ist also wichtig, viel Zeit mit der Problemfindung zu verbringen und dann auch für dieses – und kein anderes – Problem zu lösen. 

Beim Change Management ist es meiner persönlichen Meinung nach wichtig, auch schnell zu versuchen, etwas Kleines umzusetzen. Nicht direkt das große Projekt, sondern nur eine kleine Sache. Weil: Da geht meistens etwas schief. Und dann weiss man schon, dass dasselbe Problem wahrscheinlich im großen Projekt auch auftreten wird. Der mögliche Schaden ist aber noch ein kleiner. Ich würde sagen: einfach mal machen!

Wie beeinflusst Change Management den (Kultur-)Betrieb und was macht es mit der Betriebskultur? 

Liga Megne: Wichtig ist immer ein “buy in” durch die Leitung in den Prozess und ein Bekenntnis, dass sie die Veränderung unterstützt. Im Alltag braucht es kontinuierlichen Zuspruch und im übertragenen Sinne eine “Belohnung” für das Veränderungsverhalten. Ich kann nachvollziehen, wenn Menschen im Betrieb sich auch manchmal komplett sträuben. Die Situation ist, dass es einfach kaum Platz für Fehler gibt. Wenn jemand, der die Abrechung hoher Gelder z.B. für ein Festival verantwortet, einen Fehler macht, dann hat das Konsequenzen und führt schlimmstenfalls zu Mittelkürzungen etc. Da sollte man nicht damit beginnen, das gesamte wahrscheinlich funktionierende Buchhaltungssystem umzuwerfen innerhalb von zwei Wochen. Das würde berechtigt zu Panik führen. Die Leute, die bei Veränderungsvorhaben kritisieren und sich sträuben, die haben meist auch einen Grund und den muss man absolut Ernst nehmen. Hier braucht es manchmal einiges an Verhandlung und jedes mal erneut Motivation, sich dem anstrengenden Prozess der Veränderung zu stellen.

Zum Abschluss: Warum sind Kulturdispatcher:innen aus Deiner Sicht so wichtig für die Kutur in Berlin? 

Liga Megne: Ich denke bei den Kultur-Dispatcher:innen ist es ähnlich wie bei anderem Fachpersonal. Wenn man Menschen mit Ressourcen und Zeit in einen Betrieb gibt, um sich auf ein Thema zu fokussieren, dann wird das automatisch Früchte tragen. Das Thema ist damit nichts mehr, das nur nebenher passiert. Es wird Wissen und Expertise herein geholt, die vorher nicht da war. Ein sehr simpler aber wahrer Satz ist auch: “Der Schlüssel zum Erfolg ist Analyse, Kapital und Umsetzung.” Es gibt also eine Analyse, man entwickelt Bewusstsein darüber, dass Dinge Geld und Zeit Kosten, dann geht man in die Umsetzung und macht Ideen zu Realität. Das ist wahr für die kulturelle Entwicklung des Kulturbereiches und wohlmöglich auch für die meisten anderen Bereiche.  

Vita

Liga Megne ist 1989 in Valmiera, Lettland, geboren und studierte in Bremen.  Nach ihrem Wirtschaftsingenieurstudium war sie 8 Jahre lang in verschiedenen Managementpositionen in der IT-Welt tätig. Neben ihrer Liebe zur Technik gab es auch ein tiefes Interesse an Kunst und Kultur, so dass Liga im Juli 2020 beschloss, in die Kreativwirtschaft zu wechseln. Ihre Leidenschaft gilt außergewöhnlichen Ideen, interdisziplinären Projekten und der Unterstützung innovativer Künstler. Heute lebt sie in Berlin und unterstützt Kultureinrichtungen und Unternehmen bei Digitalisierungsprozessen.

Weitere Infos


Weitere Informationen zum Konzept "Handbook First" und GitLab

about.gitlab.com

Liga Megne, Musicboard Berlin GmbH: “Remote Work Methoden im Kulturbetrieb – Dokumentation als erster Schritt in die Digitalisierung” bei der 4. kulturBdigital-Konferenz.